Fake?

Was passiert, wenn Falschnachrichten auf Facebook einfach weiterverbreitet werden, weil sie so lustig oder skurril sind? Welche Freiheit der eigenen Meinung haben wir und welche Verantwortung, Menschen zu schützen? Warum kommt es dabei auf jeden einzelnen an?

Mit diesen Fragen hat sich Lina Backer aus der Q1 in einer aufrüttelnden Rede zum Thema „Freiheit und Pflicht im Umgang mit sozialen Medien“ auseinandergesetzt. Die ganze Rede gibt es hier zum Nachlesen:

Freiheit und Pflicht im Umgang mit sozialen Medien

Liebe Schülerinnen und Schüler!

Ich heiße Lina Backer und ich denke, wir sind uns alle einig, dass die Erde rund ist. Aber weshalb glauben wir eigentlich daran? Weil wir uns selbst davon überzeugt haben? Weil die Gesellschaft das so festgelegt hat? Ist es dadurch unsere Pflicht, es zu glauben? Oder besteht die uneingeschränkte Freiheit, zu glauben, was man für richtig hält? Und wie groß ist der Einfluss von Verschwörungstheorien und Fake News wirklich?
Es spielt nicht nur für unser Weltbild, sondern aktuell vor allem in sozialen Medien eine große Rolle. Verschwörungstheorien und Falschnachrichten verbreiten sich rasanter denn je und haben mehr Einfluss, als wir uns vorstellen können. Wie können wir also damit umgehen? Und wie sollten wir damit umgehen?
Welche Chancen haben wir, etwas zur Verbesserung der aktuellen Situation beizutragen? Wie konnte es überhaupt zur aktuellen Situation kommen? Letzteres habe ich mich neulich gefragt, als ich mit meiner Schwester über eine Aussage von Donald Trump gesprochen habe. Darin behauptete er, das Zeitalter des leeren Geredes sei vorbei. Meine Schwester meinte nur: „Im Gegenteil. Es fängt jetzt erst an.“
Und darin stimme ich ihr zu. Auf der einen Seite setzt Trump viele Dinge um, die er ankündigt. Aber er schafft es auch, Menschen zu manipulieren, und dabei auf die Wahrheit keine Rücksicht zu nehmen. Oder viel mehr darauf, was der Wahrheit am nächsten kommt. Natürlich hat niemand von uns Zeit, jede einzelne Theorie, die existiert und allgemein anerkannt ist, zu prüfen. Aber meistens kommt man durch gründliche Recherche und unabhängigen, gesunden Menschenverstand der Wahrheit so nahe, wie es nötig ist, um mit anderen Menschen in wesentlichen Bereichen zusammenzuarbeiten und friedlich zu kommunizieren.
Warum also gibt es immer mehr Menschen, die ihren Verstand nicht so unabhängig wie nur möglich einsetzen? Die das glauben, was andere ihnen erzählen, weil sie es hören wollen? Wie weit kommt man in der heutigen Welt mit einem verzerrten Weltbild, in dem nur maßgeschneiderte „Fakten“ existieren, die die eigenen Ängste und Interessen stützen? Meiner Meinung nach lautet die Antwort: Erschreckend weit. Und das liegt unter anderem am Internet.
Früher gab es sicherlich genauso viele Menschen, die sich die Wahrheit so zurechtgebogen haben, dass sie ihnen passte oder die Ideologien vertreten haben, die öffentlich eigentlich nicht äußerbar waren. Solange sie sich nach außen hin anpassen mussten, um nicht unangenehm aufzufallen, blieben diese Gedanken verschlossen und hatten wenig Auswirkungen. Sobald sich solchen Menschen aber irgendein Ventil bietet, eine Chance, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen, werden sie gefährlich. Denn dann ist niemand da, der sie davon abhält, ihre Ansichten in Taten umzuwandeln, im Gegenteil, sie werden sogar stärker. Und ein solches Ventil sind die sozialen Medien.
Sie bieten Freitheit, seine Meinung zu äußern, und zwar gegenüber Menschen, die man im echten Leben nie getroffen hätte. Sie bieten Anonymität. Sie bieten Unterstützung und „Beweise“ für jede erdenkliche Theorie. Das macht sie zu großartigen Medien für jeden von uns, zu einem Ort, wo wir uns frei entfalten können. Und durch diese Umstände sind sie eine unkontrollierbare Gefahr. Gesellschaftlich klein gehaltene Strömungen können hier wachsen und schließlich in der Realität unberechenbar werden.
In der heutigen Zeit, in der die Welt durch Terroranschläge, Wirtschaftskrisen und Flüchtlingswellen von Unsicherheit, Angst und Hass geprägt ist, sind Menschen leicht zu beeinflussen. Wenn sie für gewisse Ansichten empfänglich sind, und das kann man ja bei gewaltigen Mengen an gespeicherten und gefilterten Daten leicht herausfinden, ist es ein Leichtes, sie durch Falschmeldungen zu manipulieren.
Man lässt die Menschen sehen, was sie sehen wollen. Und kann sie dadurch in ihrem Kaufverhalten, ihrem Wahlverhalten, ihrem Glauben, ihrem Vertrauen, ihren Ängsten, ihren
Hoffnungen beeinflussen, man kann ihnen den Ruf, die Karriere, das Leben ruinieren. Das ist der Preis, den wir für die „Freiheit“ zahlen müssen: Wir tauschen mitunter unsere Privatsphäre, unsere eigene Meinung, unsere Sicherheit und unsere Würde gegen unbegrenzten Zugang zu Kontakten und Informationen. Das Dilemma der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ [1], wie schon Kant das von außen beeinflusste Denken beschrieben hat, ist brandaktuell.
In sozialen Medien werden Politiker, Prominente, Religionen, Bevölkerungsgruppen zu Spielbällen verschiedener Interessensgruppen, die ihnen gezielt schaden oder zum Erfolg verhelfen wollen. Und wir merken oft nicht einmal, dass jeder davon betroffen ist, wenn auch zu unterschiedlichem Grad. Aber nichtsdestotrotz können soziale Medien unser Weltbild massiv beeinflussen, mit mitunter verheerenden Folgen. Erfundene Nachrichten, die für wahr gehalten werden, weil sie sich überall verbreiten, lösen Emotionen aus, die in der Realität Menschenleben gefährden können.
In North Carolina gab ein Mann in einer Pizzeria Schüsse ab, weil er angeblich von Clinton dort gefangengehaltene und missbrauchte Kinder befreien wollte [2]. Das zeigt, dass Falschmeldungen eine reale Gefahr geworden sind. Doch wenn Menschen mit gezielter Manipulation unvorstellber viel Geld verdienen können, interessiert es sie wenig, dass sie sich dabei strafbar machen. Nach den internationalen Menschenrechten darf niemand „Eingriffen in sein Privatleben […] oder Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden“ [3].
Dieser Punkt überschneidet sich mit der Freiheit, „Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedanken zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten“ [3]. Wenn man die Freiheit besitzt, seine Meinung frei zu äußern, ergibt sich als Grenze dieser Meinungsfreiheit die Beeinträchtigung anderer. Im konkreten Bezug auf soziale Medien bedeutet das, nicht vorschnell zu handeln oder Meldungen ohne eigene Überlegungen zu verbreiten. Falschmeldungen werden schnell und unbedacht geteilt, vielleicht nur, weil sie einfach amüsieren. Aber sobald man eine solche Nachricht weiterverbreitet, hat man keine Kontrolle mehr, wen sie vielleicht erreicht und was sie auslöst. Man kann an dieser Stelle einwenden, dass hinter der Weitergabe von Falschmeldungen ja keine böse Absicht stecken muss. Doch der Schaden ist für Betroffene der gleiche, egal ob jemand die Meldung mutwillig verbreitet hat oder nicht. Deshalb müssen wir alle genau darauf achten, was wir in sozialen Netzwerken teilen. Wenn wir unsere eigene Freiheit wahren wollen, dürfen wir die anderer nicht gefährden. Wir müssen ständig unser eigenes Weltbild hinterfragen, dürfen nicht das erstbeste glauben, was wir hören.
Es scheint vielleicht so, als ob das sehr anstrengend und mühsam ist, und das stimmt. Es mag einem so vorkommen, als ob es keinen Unterschied macht, ob ein Einzelner von uns eine falsche Information glaubt oder nicht.
Aber das stimmt nicht. Wir sind die Generation, die mit genau diesen Problemen jetzt schon zurechtkommen muss, um in Zukunft in einem friedlichen, freien und sicheren Umfeld leben zu können. Und deshalb brauchen wir jeden Einzelnen von uns, der die Dinge hinterfragt, die man ihm weismachen will. Wir müssen der Angst Offenheit und Mut entgegensetzen, Diskriminierung durch Toleranz ersetzen, Kompromisse finden statt mit Waffen zu kämpfen, Hass mit Freundschaft begegnen, Wahrheiten statt Lügen verbreiten und selbst denken statt uns manipulieren zu lassen.
Wir tragen Verantwortung für unsere Freiheit und damit auch für die Anderer. Diese Verantwortung kann unangenehm, anstrengend sein, und es ist allzu leicht, sie einfach zu vernachlässigen, zu sagen: „Warum soll ich mich anstrengen für die Wahrheit? Welchen Einfluss haben meine Worte, hat mein Handeln schon? Es ändert doch eh nichts, der Rest der Welt macht weiter wie bisher.“
Aber das ist nicht der Ansatz, der uns voranbringt. Jeder von uns sollte den Satz „Es ändert sich nichts“ ersetzen durch „Ich ändere nichts“ und überlegen, was das in ihm
auslöst. Ist es einem egal? Das kann und darf es nicht sein. So viele Menschen haben in der Vergangenheit für unsere Freiheit gekämpft, für unsere Demokratie, haben sich dafür geopfert. Wir sollten es ihnen nicht danken, indem wir tatenlos zusehen, wie diese Freiheit wieder verschwindet, weil wir nichts dafür tun. Freiheit ist nicht etwas, das man einfach wie selbstverständlich behalten kann.
Man muss dafür kämpfen. Wir müssen dafür kämpfen. Auf friedliche Weise, aber mit voller Hingabe. Für die Freiheit, die Menschenrechte, die Demokratie. Die Geschichte sollte uns ein mahnendes Beispiel dafür sein, was passiert, wenn die Menschen sich so sehr manipulieren lassen, dass niemand mehr eigenständig denkt bzw. denken darf . Dass die Freiheit verloren geht und Dinge geschehen, die nie hätten geschehen dürfen. Und wir brauchen jede einzelne Stimme, die für die Freiheit und die Wahrheit kämpft. Damit wir in Zukunft friedlich miteinander leben können.

Lina Backer, Q1d

[1] Kant, Immanuel (1784): Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?
[2] https://www.tagesspiegel.de/ausland/wahlkampf-manipulation-fakenews-cyberattacken-101.html Was sind Fake News? (12.12.16)
[3] (1948) Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Foto: Immo Schiller