Im Geist Willy Brandts

Schulleiter Dr. Michael Janneck setzte sich in seiner Rede für den Abiturjahrgang 2017 mit den das Johanneum prägenden Werten und dem vielfältigen Engagement auseinander und rief die Schülerinnen und Schüler dazu auf, ihre Fähigkeiten und ihr Wissen in gelebter Achtung vor dem Menschen einzusetzen.

Guten Tag und herzlich willkommen zu unserer Abitur-Entlassungsfeier 2017

Ich begrüße natürlich besonders unsere (in diesem Jahr nur) 81 Abiturientinnen und Abiturienten. Ihr werdet gleich hier auf dem Bühne stehen und dürft Euch von allen anderen gratulieren lassen.

Ich begrüße natürlich auch Sie, liebe Eltern. Irgendwie ist das Erreichen des Abiturs auch Ihre Leistung. Die Zahl der „… steh’ endlich auf, sonst kommst Du zu spät zur Schule“ und „… hast Du Deine Hausaufgaben schon gemacht“ – „wir haben nichts auf“ – „dann nutze die Zeit zum Vokabel-Lernen“ geht in diesem Saal bestimmt in die Zehntausende! Wahrscheinlich haben sich unsere Abiturienten schon oft für die Unterstützung bedankt, aber sicherheitshalber sollten wir auch den Eltern einmal mit einem Applaus gratulieren, Sie haben es auch geschafft!

Zusammen mit den Eltern möchte ich auch die anderen Angehörigen, die heute auch dabei sind, herzlich Willkommen heißen.

Ich freue mich, dass es in diesem Jahr auch wieder „Goldene Abiturienten“ unter uns sind. Auch Ihnen ein herzliches Willkommen! Es freut mich, dass für Sie die Schulzeit am Johanneum offenbar eine so positive Erfahrung war, dass Sie auch nach 50 Jahren noch gerne daran zurück denken und Sie sich sogar auf den Weg zu uns gemacht haben, um mit uns das Abitur zu feiern.

Ich hoffe natürlich, dass auch unsere diesjährigen Abiturienten die Schule in guter Erinnerung behalten und sich zukünftig wieder bei uns blicken lassen. Anlässe dafür gibt es im Laufe des Schuljahres ja immer genug. Wenn Ihr daran denkt, rechtzeitig in 49 Jahren Eure Adresse dem Sekretariat mitzuteilen, dann werdet Ihr bestimmt auch als „Goldies“ eingeladen.

Ich möchte natürlich auch meine Kolleginnen und Kollegen begrüßen. Ihr habt auch in diesem Jahr die Abiturprüfungen wieder professionell sowie mit viel Wohlwollen und Sinn für Fairness bei der Beurteilung gemeistert. Und Ihr habt natürlich auch – und das ist die viel wichtigere Aufgabe – in den zurückliegenden acht Jahren unsere Abiturienten darauf vorbereitet, nun hinaus in die Welt zu gehen. Dafür gebührt Euch mein Dank, aber sicher auch der Dank der Abiturienten. Und auch das ist einen Applaus wert.

Hier bietet es sich an, vielleicht einen kleinen Blick auf die Ergebnisse insgesamt zu werfen. Und angesichts der Größe des Jahrganges kann man das vielleicht mit „Klasse statt Masse“ charakterisieren. Wir konnten das gute Ergebnis aus dem Vorjahr noch einmal verbessern, unser Schnitt liegt bei 2,19, wobei die jungen Damen mit 2,12 etwas besser dastehen als die Herren mit 2,27. Ich bin sicher, dass wir damit auch landesweit wieder einen Spitzenplatz einnehmen werden.

Mehr möchte ich zu den Noten gar nicht sagen, obwohl ich es persönlich immer interessant finde, die Ergebnisse auch im Detail genauer anzuschauen. Und ich muss sagen, als Schulleiter macht es mich auch stolz, dass an „meiner“ Schule eigentlich alle Abiturienten die Schule mit einem „guten“ Abitur verlassen, denn ich weiß auch, dass die Noten nicht verschenkt, sondern erarbeitet wurden. Und weiß aus den Berichten von Ehemaligen Schülern, dass das Abitur am Johanneum nicht nur eine Hochschulzugangsberechtigung sondern auch die Befähigung zu einem Studium ist.

Tatsächlich sind die Noten nicht das Wichtigste an der Schule, sondern ein notwendiges Übel, um Euch, liebe Abiturienten, z.B. bei der Vergabe von Studienplätzen, irgendwie vergleichen zu können. Die meisten Lehrer würden – glaube ich – gerne auf Noten und Benotung verzichten und sich dafür lieber mit voller Kraft darauf konzentrieren, guten Unterricht zu gestalten. Tatsächlich ist das, was in den Abiturprüfungen geprüft wird, auch nur ein kleiner Ausschnitt aus dem, was Ihr am Johanneum gelernt habt, nämlich eben das, was man gut prüfen kann. Vieles von dem, was Euch als Menschen ausmacht und zu dem wir als Schule auch beigetragen haben, kann man gar nicht messen. Erst der weitere Verlauf Eures Lebens wird zeigen, ob Ihr ein zufriedenes Leben führt und ob Ihr in einigen Jahren Verantwortung für unsere Gesellschaft übernehmen könnt und werdet.

Zum Glück ist die Abiturnote dafür ziemlich unwichtig, wie unser bekanntester Schüler zeigt.

In einer der mündlichen Prüfungen, an denen ich teilgenommen habe, hat Herr Klinger die Frage gestellt, ob es nicht eine gute Idee wäre, das Johanneum in „Willy-Brandt-Gymnasium“ umzubenennen. Herr Klinger ist sogar so weit gegangen zu behaupten, dass es eine Gruppe von Lehrern gäbe, die diesen Plan verfolge. Das ist – glaube ich jedenfalls – nicht der Fall und es gibt ja auch schon die Willy-Brandt-Schule in Lübeck.

Der Prüfling hat (sinngemäß) geantwortet, dass Willy Brandt ein sehr guter Namenspatron wäre. Nicht nur, weil er Schüler des Johanneums war, sondern weil er sich früh politisch engagiert habe und weil er sich für die richtigen Ziele eingesetzt habe, Frieden und eine gerechtere Gesellschaft. Das sei heute noch genauso wichtig und Brandt damit ein sehr gutes Vorbild auch für die jungen Menschen heute.

Ruth Cohn, eine Psychoanalytikerin und Pädagogin, deren Arbeit meine persönliche pädagogische Haltung stark beeinflusst hat, hat in einem ihrer Bücher geschrieben:

„Fähigkeiten und Wissen ohne Achtung vor dem Menschen baut Gaskammern und Napalmfabriken. Achtung vor dem Menschen ohne Fähigkeiten und Wissen kann kein Brot backen, keine gebrochenen Knochen und Seelen heilen.“

In der Schule fokussieren wir uns vordergründig immer auf „Fähigkeiten und Wissen“, aber wir sind natürlich immer auch Vorbilder und die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, trägt ganz wesentlich dazu bei, ob Ihr eine Achtung vor den Menschen entwickeln könnt.

Insofern freue ich mich, dass es am Johanneum viele Aktivitäten gibt, die zeigen, dass uns die Achtung vor den Menschen tatsächlich wichtig ist. Und ich greife jetzt bewusst Aktivitäten heraus, die in unserem kollektiven Bewusstsein vielleicht nicht ganz so präsent sind, die aber für die ganzheitliche Bildung an unserer Schule unglaublich wichtig sind.

  • Unsere Schulpartnerschaft mit dem „Lutheran Junior Seminary“ in Morogoro hat das Ziel, das gegenseitige Verständnis für das Leben in anderen Ländern zu fördern.
  • Die neu gegründete Fair-Trade-AG möchte ein Bewusstsein dafür schaffen, dass die guten Lebensbedingungen bei uns zu Lasten der Menschen in anderen Ländern gehen und dass man das ändern muss.
  • Die Institutionalisierung unseres Beratungsangebotes macht deutlich, dass uns nicht nur die fachlichen Leistungen wichtig sind, sondern dass jeder Mensch so wie er ist bei uns willkommen ist und wir bereit sind zu helfen.
  • Das Projekt „Eine Stunde für …“ schließlich hat auch das Ziel, die Bereitschaft zu fördern, auf andere Menschen zuzugehen.

Dass es all’ diese Aktivitäten – und noch mehr – gibt, zeigt, dass uns als Schulgemeinschaft die Achtung vor den Menschen wichtig ist. Und das hat sich sicher auch auf Euch übertragen.

Und nun komme ich wieder auf die Prüfung zurück: Der Prüfling führte dann weiter aus, dass man aus Gründen der Tradition aber nicht auf den Namen „Johanneum“ verzichten könne. Und das ist natürlich richtig, denn das Johanneum zu Lübeck hat auch in Hinblick auf Achtsamkeit eine lange Tradition, hier zitiere ich (um den Kreis zu schließen) Willy Brandt, der über seine Schulzeit am Johanneum (1928-1932) gesagt hat: „Aber ich bin doch bei eigener Rückschau über das Maß an Toleranz erstaunt, das es damals an unserer Schule gab. Dies entsprach ja durchaus nicht der uns umgebenden gesellschaftlichen Realität.“

Ich hoffe, dass Sie, liebe goldene Abiturienten, das in Ihrer Schulzeit ähnlich erlebt haben.

Ich fasse nun zusammen: Liebe Abiturienten, Ihr habt in den letzten zwei Jahren als Primaner nachgewiesen, dass Ihr in allen möglichen Bereichen, die die Gesellschaft für wichtig hält, Fähigkeiten und Wissen erworben habt. Und ich bin ziemlich sicher, dass Ihr auch Achtung vor dem Menschen entwickelt habt. Ihr seid tatsächlich bereit Verantwortung für unsere Gesellschaft zu übernehmen. Und wer sagt denn, dass nicht 85 Jahren der Schulleiter (oder die Schulleiterin) des Johanneums dann jemanden von Euch zitiert als weiteren berühmten Schüler (oder berühmte Schülerin) des Johanneums. Und selbst wenn Ihr alle weitgehend unbekannt bleibt, dann sollte Euch das nicht davon abhalten, Euch dafür einzusetzen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Dr. Michael Janneck