(An) den Anforderungsbereichen I-III gewachsen

Komisch, wie in einer Klausur..

Alle sitzen mehr oder weniger still auf ihren Plätzen,

Alle sind mehr oder weniger interessiert,

Alle sind mehr oder weniger konzentriert,

Alle sind mehr oder weniger gut mit Nikotin beklebt – andere mit dem Klausurelixir Koffein versorgt,

Und alle sind mehr oder weniger vorfreudig die Zeit bald abgesessen zu haben.

 

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Lehrerinnen und Lehrer, liebe Familien, liebe Ehemaligen und natürlich auch alle, die sonst noch eine Karte ergattern konnten,

Guten morgen! Wir freuen uns, dass Ihr alle hier seid.

Liebe Freunde, nehmt es uns nicht übel, dass auch beim heutigen Anlass, in unserer Rede, die „Klausur“ im Mittelpunkt steht – als hätte sie uns diese letzten 8 oder 9 Jahre nicht schon genug geplagt.

Ungefähr 130 Mal mussten wir alle antreten und uns immer um ein Neues behaupten. Man könnte fast sagen, unsere ganze Schulzeit war eine einzige Klausur. Und genau das tun wir – erstmal..

Besonders jetzt, nach der hinter uns liegenden und überdurchschnittlich nervenaufreibenden Prüfungsphase war dieser Vergleich fast unvermeidbar.

Und, wie es sich in einer richtigen, elitären Johanneer*innen Klausur gehört, müssen auch die Formalien eingehalten werden.

Also: Sind alle in der gesundheitlichen Verfassung, an der folgenden Rede und klausurähnlichen Zeitreise teilzuhaben?

Entschuldigungen von Mama zählen übrigens nicht!

Also, sobald die intelligenzboostenden Smoothiereihen aufgebaut sind; Brote, Kuchen und Obst ansprechend angeordnet sind; das Datum vom Nachbarn abgesegnet wurde; zulässig sowie unzulässige Hilfsmittel sicher platziert sind und der eigene Name in der oberen rechten Ecke der Klausurbögen steht, geht’s los!

Mit 10 Jahren, Zahlen bis 12 müssen übrigens ausgeschrieben werden, als wir in die 5. Klasse kamen, wurde uns diese metaphorische Klausur das erste Mal ausgehändigt und wir alle fanden uns in den nächsten 2 Jahren im Anforderungsbereich 1 wieder.

Wir saßen zum ersten Mal zusammen in den Klassenräumen einer riesigen Schule, umgeben von riesigen Schülern und riesigen Verantwortungen.

Neben Grünezettel abholen und abgeben und die Tafel pünktlich und ordentlich wischen, wobei das ‘ordentlich’ erst in der Mittelstufe, bei einigen Kollegen, wirklich großgeschrieben wurde; mussten wir auch auf das heilige Klassenbuch aufpassen und konnten zudem noch erste praktische, berufsorientierende Erfahrung im Gebäudemanagement, als Schlüsseldienst, sammeln.

Ganz besonders war diese Zeit aber dem Freundefinden gewidmet: Es gab ganz viele neue Namen und Ranzen zwischen den paar alten Bekannten.

Aber dank unseren umsorgenden Klassenlehrern Frau Skaide, Herrn Schulz, Frau Hagemann und Herrn Maetzel, waren wir zuerst diesen Verantwortungen und Herausforderungen und später dann auch der Mittelstufe, gewachsen.

Nun verlassen wir die reine Wiedergabeebene von Anforderungsbereich 1 und kommen zum Analyseteil im Anforderungsbereich 2: der Mittelstufe.

In dieser Phase wuchsen erneut die Anforderungen an uns und auch die natürlichen Gegebenheiten erschwerten uns in dieser Zeit Vieles.

Denn es sollte nicht nur dabei bleiben ja nicht zu vergessen, dass es in Gedichten Vers und nicht Zeile heißt und, dass Buchstaben plötzlich auch Zahlen waren.

Nein, bei diesen Dingen allein blieb es nicht, denn die Pubertät machte sich langsam bemerkbar: Die ersten Partys wurden gefeiert, die erste Mische, das erste Bier probiert, die erste Flasche gedreht, die erste Beziehung begonnen und das erste Mal …… Kaffee getrunken.

Zum Glück, hatten wir aber auch innerhalb der Schule die Möglichkeit unseren neuen Tatendrang auszuleben: auf den Klassenfahrten.

Und Zwar in den Harz, nach Berlin, Dresden und Noer oder auf der Dänischen Südsee.

Da kenterte mal ein Kanu; der Matrose Florian wurde zum Seeräuber der Herzen; Jungs entdeckten die Schminktaschen der Mädchen; nächtliche Ausflüge über Flure in denen Lehrer patrouillieren waren die Norm und auch heimliche Treffen im Pavillon oder Reitstall konnten nicht vermieden werden.

Eine Klasse hatte wohlgemerkt etwas mehr Tatendrang, als beispielsweise die harmonische Musikklasse, sodass auch mal Tische brannten oder Türen zerbrachen.

Der Gegenspieler oder Antagonist zu diesen aufregenden Zeiten, welcher sicher nötig war, waren ‘Vertretungsstunden’. In Ihnen entdeckten viele von uns die Prokrastination für sich und wollten diese in den nächsten Jahren auch nicht mehr loslassen.

Tatsächlich hat sich aber auch schulisch in diesen Jahren was getan. Wir haben das erste Praktikum absolviert, danach immernoch keine Ahnung gehabt was wir werden wollen – übrigens auch nicht nach dem Zweiten.

Nebenbei hatten wir auch noch ein bisschen Unterricht und haben uns durch jegliche lebensnotwendigen Details unserer fabelhaft formulierten Lehrbücher gearbeitet – Immer stringent nach Lehrplan.

Hoffentlich wurde alle Bücher von euch abgegeben! Und im Gegenzug die vom Bibliothekar eingesammelten Handys wieder ausgegeben…

Das was in der Mittelstufe aber wirklich hängen blieb, ist,

dass die A, bei Hagemann und Gerson, ihren Klassenraum zu einer Küche umfunktioniert hat – mit Toaster, Wasserkocher und allem was dazu gehört und womöglich das größte Sortiment an Lehrerstreichen entwickelte,

dass die B, unter Köhnke, eine etwas turbulente Beziehung zu Lehrern*innen hatte,

dass die C, zu Freuden Dießners, jedes Jahr jegliche Sportevents gewann, und auch Tafelwischwettbewerbe gewonnen hätte – gäbe es Sie,

Und, dass die D, trotz der liebevollen Frau Salomon, alles was Sport im Namen hatte mit Bravour verlor. Dafür war es die Norm, Begrüßungen im Dreiklang zu singen.

Rückblickend wird eindeutig klar, dass wir uns in dieser Zeit viel ausprobiert und ausgelebt haben und uns letztendlich deutlich entwickelten.

In Klausuren fangen nun die meisten an zu schwitzen – nur noch 5 Minuten für den Anforderungsbereich 3 und das Buffet haben wir auch noch nicht angefasst. Und genauso ging es vielen im Übergang zur Oberstufe auch.

Denn alles wurde nochmal umfangreicher, ging mehr in Breite, Tiefe und in Nächte.

Und gefolgt vom Stundenlauf das Schlimmste: Alles Immer Abirelevant!

Die Oberstufe hatte aber auch eine Menge schöne Momente, wie beispielsweise die Kursfahrten, auf denen wir, unter der Obhut Priesemuths, Kraazes, Panteleits und Linowitzkis, eine unvergessliche teils mehr teils weniger regelkonforme Zeit verbracht haben. Es sind sehr viele schöne Erinnerungen geblieben – und das nicht nur an die Fahrten.

Außerdem haben viele von uns ein neues, wertschätzenderes Verhältnis zu euch, den Lehrern*innen, bekommen, was für den Unterricht ein ganz neuen Umgang bedeutete.

Jetzt, als erwachsene, reife ‘Sies’ waren wir in Diskussionen verstrickt und durften manchmal sogar auf Augenhöhe miteinander kommunizieren. Späße und unproduktive Stunden gab es aber natürlich trotzdem!

Die Mottowoche war sicherlich für viele von uns auch ein klares Highlight aus der Oberstufe. Dort konnten wir noch einmal unsere Kindheitshelden beleben und unseren inneren, ganz tief verborgenen Assi rauslassen, bevor der Elitealltag und das Abi uns wieder heimsuchten.

Denn das Abitur rückte unvermeidlicher Weise näher und damit auch die naive und optimistische Prokrastination. ‘’In 2 Jahren kann man ja eh noch alles schaffen’’, ‘’das Vorabi ist ja noch nicht so wichtig wie das ABI’’ und ‘’In Weihnachts- und Osterferien kann ich nicht lernen, da gedenke ich Jesus’’ sind sicher gute Ausreden gewesen  –  bis dann plötzlich und ganz unerwartet das Abi vor der Tür stand.

Wir haben es aber tatsächlich trotzdem alle geschafft! ALLE! Auch, wenn besonders die Mathelehrer in der ein oder anderen Situation nicht ihre Hand dafür ins Feuer gehalten hätten und auch viele von uns noch heute einen unterschwelligen aber durchaus tiefen Hass auf Carl Friedrich Gauss, Friedrich Schiller, Arnold Schönberg und vor allem Landeshauptstadt Kiel hegen.

Nun nach den ganzen Prüfungen ist es Zeit reinen Wein einzuschenken, wobei es nach den Klausuren meist eher Bier oder Sekt war.

Unsere Schulzeit war geprägt von Klausurstress, Leistungsdruck, Gehorsamkeit.

Wir wurden nicht zuletzt durch Noten zu gestressten, bemühten und selbstständigen Einzelkämpfern erzogen. Dieses Gefühl ist bei uns in letzten Wochen und Monaten immer stärker geworden.

Jetzt aber haben wir es geschafft- die Zeit ist unvorstellbar schnell verflogen – so wie eben in Klausuren.

Denn das was die meisten in der Klausur nicht haben, ist der Blick auf die Zeit!

Immer in unserem Rücken, hinten am großen Fenster der Aula, in der wir die meisten unserer Klausuren geschrieben haben, steht: ‘’Zeit ist mein Besitz, mein Erbteil o` wie herrlich weit und breit, mein Acker die Zeit.’’

Ein schöner Satz, der jetzt im Rückblick neue Bedeutung erlangt.

Denn nach den Prüfungen ist Zeit; Zeit zur Ruhe zu kommen, Zeit für sich zu finden und irgendwann wertzuschätzen wie viel mehr als nur die Klausuren wir aus der Schulzeit mitgenommen haben: lebenslange Freundschaften, das Aufgehobensein in einer Gemeinschaft, lesen und schreiben. Es wird Zeit unser Leben jetzt nach unseren eigenen Erwartungshorizonten auszurichten.

Und auch, wenn wir uns in dieser Zeit mal einsam fühlen sollten und das gemeinsame in-der-Aula-sitzen vermissen, gibt es ja immer noch die hochklassige Kontaktbörse ‘Elitepartner’, auf der wir ebenbürtige Zeitgenossen, Singles mit Niveau, treffen können.

Liebe Eltern, liebe Lehrerinnen und Lehrer und alle anderen Beteiligten an den vergangen Jahren; vielen Dank für all eure Mühen und Sorgen! Und für diese anstrengende aber mit Sicherheit unvergessliche Zeit in unserem Leben.

Wir haben’s alle bestanden!

Wir habens drauf! – haben den schulischen Erwartungshorizont erreicht und haben unser Blick geweitet.

Jetzt sind wir auf der Suche nach unseren eigenen Horizonten.

Wir werden alle unseren Weg gehen! : Gemeinsam aus der Schule hinaus, durch den Torbogen, in die weite Welt.

Emilie Reising Novo und Arne Rüger