Viel Glück

Was ist Glück?

liebe Abiturientinnen und Abiturienten, vermutlich habt ihr in den letzten Wochen oft gehört „Viel Glück für deine Prüfungen“. Oder aber ihr denkt jetzt in diesem Moment: „Ich wäre glücklicher, wenn die Reden endlich vorbei wären und ich endlich mein Abiturzeugnis in den Händen hielte.“ Herzlichen Glückwunsch übrigens an dieser Stelle!

Aber was meinen wir, wenn wir einander beglückwünschen oder wenn wir sagen, wir seien glücklich? Oder aber wenn ich euch nun viel Glück für die Zukunft wünsche? Was ist überhaupt das Wesen des Glücks?

Halten wir doch einmal inne und versuchen der Sache auf den Grund zu gehen. Achtung, es folgt ein Arbeitsauftrag in Einzelarbeit: Vervollständige gedanklich den Satz „Glück ist…“.

Ich habe dieses kleine Experiment im Laufe des letzten Schuljahres mit Menschen aus meiner näheren Umgebung angestellt – Ich habe hauptsächlich Schülerinnen und Schüler befragt – oft in Vertretungsstunden – aber auch Kolleginnen und Kollegen, Familie und Freunde. Hier ist eine kleine Auswahl von wirklich vielen großartigen Einfällen. Vielleicht findet ihr euch auch darin wieder:

„Glück ist, dass ich in der Mathearbeit eine 3 geschrieben habe.“

„Glück ist, wenn ich jeden Tag meine Freunde in der Schule sehe.“

„Glück ist nicht käuflich.“

„Glück ist Musik zu machen, zu hören und sich an ihr zu erfreuen.“

„Glück ist, wenn es einen Stromausfall am Hamburger Flughafen gibt und alle Flüge ausfallen, aber die Kursfahrt trotzdem noch stattfinden kann.“

„Glück ist der Chemiecocktail aus Dopamin, Serotonin, Noradrenalin und Endorphin.“

„Glück ist, wenn man lacht, bis der Bauch weh tut.“

„Glück ist die Fähigkeit, zu erkennen, dass man glücklich ist.“

„Glück ist, wenn sich meine Familie an Weihnachten über meine Geschenke freut.“

„Glück ist, jemanden zu haben, mit dem man es teilen kann.“

„Glück ist, ein gutes Buch zu lesen und dabei eine Tasse Tee zu trinken.“

„Glück ist, einen Job zu haben, der einem Spaß macht.“

„Glück ist Reisen.“

„Glück ist Zufriedenheit.“

 

Sind wir dem Glück nun schon langsam auf der Spur? Nachdem wir nun einige Varianten gehört haben, können wir schlussfolgern, dass das Wort „Glück“ offensichtlich mehrdeutig ist.

Auch der Duden beinhaltet drei verschiedene Definitionen über drei unterschiedliche Arten von Glück. In einem deutsch-englischen Wörterbuch wird dies umso deutlicher: Im Englischen gibt es einmal den Begriff „luck“, die Bezeichnung „happiness“, aber auch das Wort „serendipity“. Wo ist jetzt der Unterschied? „Happiness“ ist, wenn ihr in den letzten Tagen wie eine weitere Schülerin hochzufrieden in der Sonne ein Eis genossen habt. „Luck“ ist, wenn euch später der Anzug oder das Kleid reißt und jemand Nadel und Faden dabei hat und auch noch nähen kann. „Serendipity“ ist, wenn ihr heute auf den Abiball geht, um mit euren Freunden zu tanzen, aber am Ende ein tolles Gespräch mit einem Unbekannten führt, das euch noch lange im Gedächtnis bleibt.

„Happiness“ ist also das innere Glück, ein seelischer, emotionaler Zustand. „Luck“ hingegen steht für das äußere Glück, auf das man wenig Einfluss nehmen kann. „Serendipity“ bedeutet, etwas Positives zu finden, ohne danach gesucht zu haben, also ein glücklicher Zufall.

Ich höre in den Zitaten vor allem inneres Glück heraus. Und wenn ich euch nun viel Glück für die Zukunft wünsche, meine ich damit vor allem dieses – „Happiness“, also Glückseligkeit, d.h. Zufriedenheit, ein individuell erfülltes Leben, Lebensqualität und Freude, kurzum: persönliches Wohlbefinden.

Wahres Glück ist also etwas ganz Individuelles und daher abhängig von der inneren Einstellung zum Leben, vom Denken und den eigenen Gefühlen, und keineswegs ausschließlich von Äußerlichkeiten, z.B. einem Haufen Geld, einem großen Auto oder einem pompösen Haus – was, wenn man ehrlich ist, natürlich zusätzlich eventuell nicht schaden kann.

Seneca sagte dazu einst passend „Glücklich ist nicht, wer anderen so vorkommt, sondern wer sich selbst dafür hält.“ Ich fordere euch jetzt dazu auf, euch ab heute euer Glück – also „Happiness“ – selbst zu machen! Wartet nicht nur darauf, dass euch „luck“, oder „serendipity“ findet, sucht nicht euer ganzes Leben lang womöglich vergebens nach dem Glück und erwartet nicht, dass euch jemand anderes glücklich macht.

Goethe sagte schon „Jeder hat sein eigen Glück unter den Händen, wie der Künstler eine rohe Materie, die er zu einer Gestalt umbilden will.“  Ihr habt also bereits alles vor der Nase, um euer Glück zu kreieren– eure Ideen, euren Verstand, euren Willen, euch selbst. Goethes Zitat geht jedoch noch weiter: „Aber es ist mit dieser Kunst wie mit allen; nur die Fähigkeit wird uns angeboren, sie will gelernt und sorgfältig ausgeübt sein.“ Geht also heute hinaus und verfeinert diese Fähigkeit, euer Glück zu formen, die ihr bereits in euch selbst vorfindet.

Das bestandene Abitur ist der Beweis, dass ihr in den letzten 12 Jahren bereits in der Lage wart, einen eurer Glücksmomente selbst zu erschaffen – ohne es vielleicht bemerkt zu haben. Und das ist doch nur ein Teil oder nur der Anfang des immer größer werdenden Glückpuzzles eures Lebens.

Denn ich komme nicht umhin anhand der Zitate auch festzustellen, dass Glück offensichtlich etwas ist, das kein Dauerzustand, sondern durchaus auch eine Momentaufnahme sein kann. Vermutlich ändert sich eure Einstellung zum Glück auch im Laufe der Jahre.

Glück ist also wie Knete – es kann viele Farben aufweisen, viele Formen annehmen und ihr habt es in eurer Hand, daraus etwas zu gestalten, das euch gefällt. Und wenn ihr der Figur überdrüssig seid, dann ändert einfach ihre Gestalt.

Haltet das Glück aber auch fest, wenn ihr es geschmiedet habt und seid nicht unzufrieden, wenn euch ein Glücksmoment irgendwann auch wieder aus den Händen gleitet wie feiner Sand. Trefft Entscheidungen, probiert aus, scheitert, steht wieder auf und macht doch auch mal etwas anders als andere und erschafft euch ein neues Stück Glück! Nachdem ihr zum Beispiel später das Zeugnis erhalten haben werdet, könnt ihr sicherlich schon einen neuen Glücksmoment heute Abend beim Abiball hervorbringen.

Ich persönlich bin davon überzeugt, dass es vor allem die kleinen Dinge im Leben sind, die uns erfüllen und glücklich machen.

Für mich wäre folgendes Szenario eine schöne Vorstellung: Wenn irgendjemand euer Glück erkennt und euch fragt „Wo hast du das gefunden? Ich habe es schon überall gesucht?“ dass ihr antworten könnt „Das habe ich nicht gefunden, das habe ich selbst gemacht.“

In diesem Sinne wünsche ich euch eine große Kiste voller selbst gemachter Glücksmomente und ich wünsche euch vor allem den Mut, immer weiter zu bauen und neuzubauen – das Glück muss manchmal renoviert werden wie ein altes Haus.

Und um Herrn Panteleit zu Worte kommen zu lassen, noch überleitend ein Zitat eines Schülers: „Glück ist, man selbst sein zu dürfen – auch wenn man anders ist als andere.“

Vanessa Priesemuth