Was bleibt?

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, liebe Eltern, Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste,

wie Sie und Ihr alle nun hören und sehen könnt, ist es in diesem Jahr an mich gekommen, die Abirede in Vertretung des Lehrkörpers zu halten, und, wie es der Zufall so will, wird dies meine erste und letzte Abirede sein …. Bisher konnte ich mich immer mit dem Hinweis darauf, dass man als Musikprofillehrer ja auch noch für die Musik zuständig sei, vor dieser ehrenvollen Aufgabe bewahren, aber in diesem für mich sowieso sehr chaotischem Schuljahr war mir alles egal und ich sagte zu. Als ich in den vergangenen Jahren, die letzten beiden Coronajahrgänge ausgenommen, hier im Kolosseum den alljährlichen Feierlichkeiten beiwohnen durfte, hatte ich mich insgeheim schon vorsorglich gefragt, was würdest du, Hartmut Jung, denn in einer Abiturrede dem Auditorium, und besonders deinen – nun ehemaligen – Schülerinnen und Schülern mitteilen, oder – wie man so schön sagt – mit auf den Weg geben wollen? Ungefähr 2/3 aller Abiturreden, grob geschätzt, begannen mit genau dieser Fragestellung und nun füge ich solcherart eröffneten Vorträgen einen weiteren hinzu …. Als ich also in mich ging, verfiel ich auf ein Thema, dass mich schon einmal beschäftigte – es war im Jahre 2015, als ich ebenso damit rechnete, nun aber mal eine Abiturrede halten zu sollen und es dann, auf Grund einer Erkrankung, nicht konnte. Ich fragte mich damals, was ist eigentlich wirklich beständig und von Dauer …  was bleibt??

Was bleibt? Diese Frage als Thema einer Rede für einen ‚Graduation Day‘, wie es bei den ‚Beach Boys‘ so schön heißt, erscheint mir heute noch relevanter als damals, vor 7 Jahren. Das Tempo, in dem sich Dinge aller möglichen Art und Weise ändern und lange Jahre für unumstößlich gehaltene Gewissheiten  zu wackeln, wenn nicht gar einzustürzen beginnen, nimmt ständig zu: der Klimawandel, die Pandemie, der Krieg in der Ukraine und damit verbunden die Friedensordnung in Europa …. von der ‚Digitalisierung‘, diesem uns beinahe  täglich von Politikern und Journalisten wie eine heilige Monstranz fetischartig hin gehaltenem Zauberwort, möchte ich gar nicht erst reden.

Was bleibt vom Menschen, von uns? Lassen Sie mich / lasst mich etwas weiter ausholen und zum Bild vom Menschen kommen, genauer gesagt zu zwei konkurrierenden Menschenbildern: dem fortschrittlichen oder auch ‚linken‘ und dem christlichen … Das linke Menschenbild sagt, der Mensch ist zwar gut …. aber das nutzt ihm nichts, denn die Gesellschaft und die  Verhältnisse sind schlecht und führen zu Unterdrückung und  Ausbeutung. ‚Die Verhältnisse, sie sind nicht so‘, lässt Bertold Brecht in der ‚Dreigroschenoper‘ singen. Das christliche Menschenbild behauptet nun, der Mensch sei keinesfalls nur ‚gut‘, nein, nein, der kann sogar richtig böse sein! Daher begegnen uns in der christlichen Religion so häufig Begriffe wie ‚Buße‘, ‚Reue‘ oder gar ‚die Sünde‘. Immerhin wird uns armen Sündern hier noch ein Ausweg geboten …. wir Katholiken haben sogar die Möglichkeit den ganzen Schlamassel zu beichten …. und Schwups, ist alles wie weggeblasen! Welchen Ausweg bietet uns  nun das eher auf Fortschritt ausgerichtete Menschenbild?  Nun, hier ließen sich eine ganze Reihe von Beispielen nennen, die eher in die Rubrik ‚was nicht bleiben soll‘ zu gehören scheinen. Wir werden zum Beispiel angehalten, bestimmte Wörter nicht mehr zu benutzen, in einer bestimmten Weise zu formulieren, bestimmte Dinge nicht mehr zu kaufen oder zu essen und bestimmte Dinge nicht mehr zu tun …… und dann, so lautet die Verheißung, dann werde alles gut, wenn wir das alles tun oder nicht mehr tun, dann gibt es endlich die gerechte Gesellschaft, ohne Diskriminierung, ohne Rassismus …  Man möge mich nicht falsch verstehen, wer mich kennt, tut das auch nicht. Es ist sehr gut, dass man bestimmte Worte heute nicht mehr benutzt und es ist ebenso sehr gut, dass sich unsere Schule den Kampf gegen den Rassismus auf die Fahne geschrieben hat! Aber, wie sagte einst  Harald Schmidt in seiner Show ‚es liegt doch nicht an den Begriffen!‘ …… jein, würde ich dazu sagen, manchmal liegt es eben doch an den Begriffen. Dennoch … ein geeigneteres Mittel gegen Rassismus, als  Kinderbücher von Michael Ende oder Astrid Lindgren nach politisch nicht korrekten Wörtern zu durchsuchen oder den Kindern zu verbieten sich zum Karneval als ‚Indianer‘ zu verkleiden, scheint mir im Hören von Jazzmusik zu liegen, und damit verbunden, sich einmal mit der Biografie so großartiger Musikerinnen wie Billy Holiday, Ella Fitzgerald oder Nina Simone zu befassen. Diese großen Künstlerinnen haben alle unter Rassismus leiden müssen, aber trotzdem haben sie Musik erschaffen können, die uns noch heute zutiefst bewegt! Und liegt nicht überhaupt in der Geschichte des Jazz und der ‚Black Music‘ eine ganz besondere Dialektik, die es in sich hat: diese Musik konnte nur entstehen, weil es den menschenverachtenden Slave Trade im 17. und 18. Jahrhundert gab, und diejenigen, die diese Kunst erschufen, standen auf der gesellschaftlichen Skala ganz weit unten, tiefer ging es nicht! Und dennoch haben ausgerechnet sie diese faszinierende Musik erschaffen. Eine Tatsache die uns hoffnungsvoll, so möchte ich meinen, stimmen darf, übrigens auch in Bezug darauf, was Kultur und Musik für uns Menschen bedeuten können … das bleibt!

Um zu den beiden Menschenbildern zurück zu kommen, so werdet ihr, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, in den nächsten Jahren sicherlich eure eigenen Erfahrungen machen, hinsichtlich der Frage, ob der Mensch nun gut ist, die Gesellschaft aber schlecht oder umgekehrt. Ich denke, dass die Wahrheit hier, wie so oft, in der Mitte liegt.

Dass gut gemeinte Gedankenansätze und Verbesserungsvorschläge nicht immer ins Schwarze treffen, möchte ich nun an einem Beispiel erläutern.

Das Beispiel stammt, wer hätte das gedacht,  aus dem Bereich der Musik. Die vom ZDF betriebene Jugendkulturseite ‚Around the Word‘ befasste sich jüngst mit der Frage, welche Kinderlieder man denn heue noch ruhigen Gewissens mit den lieben Kleinen singen könne. Eine ganze Reihe von Liedern landete auf dem Index, beim ‚Caffee- Kanon‘ wunderte mich das nicht, war ich selbst doch schon vor geraumer Zeit, auch ohne ZDF-Nachhilfe, darauf gekommen, dass der Text des Liedes Kinder mit türkischen Wurzeln peinlich berühren könnte. Daher nahm ich das Lied aus meinem Schulrepertoire. Bei zwei anderen Liedern – ‚Drei Chinesen mit nem Kontrabass‘ und ‚Wer hat die Kokosnuss geklaut‘ war ich doch recht überrascht und wollte mehr über die Gründe erfahren, die zu dem Verdikt geführt hatten. Das erste Lied, so hieß es, würde die Gefühle von Menschen chinesischer Herkunft verletzten, da sie doch in dem Lied mit der Polizei in Konflikt geraten würden. Mir selbst ist das Lied als kleiner Bub von einer älteren Nachbarstochter beigebracht worden und ich habe es immer gern gesungen und fand die verschiedenen Vokalfärbungen, in denen man den Text dann zu singen hatte, recht spaßig: ‚Drei Chinesen mit nem Kontrabass, saßen auf der Strasse und erzählten sich was, kam eine Polizist und fragt ‚was ist denn das?‘, drei Chinesen mit nem Kontrabass!‘. An mir scheint die Chinesen diskriminierende Tendenz, die dem Lied unterstellt wird, vorbei gegangen zu sein. Im Gegenteil, in meiner kindlichen Fantasie haben mich diese drei Chinesen mit dem Kontrabass besonders fasziniert. Ich stellte mir dann vor, wie sie zu dritt mit dem Bassinstrument umgingen … der eine greift, der andere zupft, der andere hält es fest …? Und der Polizist war für mich eher der Dumme, der den besonderen Zauber der Szenerie in seiner Einfalt gar nicht verstanden hatte. Von kultureller Aneignung kann, so denke ich, auch keine Rede sein, denn der Kontrabass ist ja nicht gerade ein typisch chinesisches Instrument. In diesem Fall konnte ich den Machern der Seite ‚Around the word‘ also nicht folgen. Den Text des 2. beanstandeten Liedes kennen Sie / kennt Ihr wahrscheinlich auch: ‚Die Affen rasen durch den Wald, der eine macht den andern kalt, wer hat die Kokosnuss geklaut?‘ ….. Dieser,  an sich etwas alberne Text, habe,  so die Journalistinnen und Journalisten der erwähnten Seite, eine latent rassistische Schlagseite und sei zudem mit kolonialistischen Klischees gespickt. Denn in Wahrheit seien mit den ‚Affen‘ gar nicht Tiere gemeint, sondern Menschen mit dunkler Hautfarbe. Nun, auch auf diese Idee, wäre ich  nicht gekommen und kann mir auch nicht vorstellen, dass Kinder, mit denen man das Lied singt, in derartige Denkmuster verfallen würden. Ich frage mich, wie man bei ‚Around the word‘ auf diese Interpretation verfallen konnte. Kann es sein, dass man dort durch im Nationalsozialismus verbreitete Sichtweisen beeinflusst wurde? Man denke an das Plakat zur Ausstellung ‚Entartete Musik‘ von 1938, auf dem ein Saxofon spielender Afroamerikaner dargestellt ist, der die Züge eines Affen trägt. Kann es sein, dass man hier selbst in rassistische Klischees verfallen ist, die man nun meint, der ‚wirklichen‘ Aussage des Kinderliedes unterstellen zu müssen? Bemerkenswert, dass selbst die TAZ meinte, die Macher der Seite müssten sich bei den Kindern entschuldigen. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass gut gemeint, nicht immer gut gemacht bedeutet.

Da wir nun schon bei der Musik sind, möchte ich in diesem Zusammenhang noch etwas über Richard Wagner sagen. Jüngst bemerkte ein Kulturverantwortlicher in Berlin, dass dort sowohl eine Straße, als auch eine U-Bahn-Station nach dem Komponisten benannt ist und schlug vor, diese Lokalitäten um zu benennen, wegen der antisemitischen Ausfälle Wagners. Dem würde ich entgegnen, dass man Platz und Straße nicht wegen Wagners Antisemitismus nach ihm benannt hat.  Marcel Reich- Ranicki werden die Älteren unter Ihnen vielleicht noch kennen: Literaturpapst, Großkopfet, Erfinder der Fernsehreihe ‚Das literarische Quartett‘ und eben auch großer Liebhaber der Werke Wagners. Marcel Reich-Ranicki ist als junger Mann dem Holocaust nur knapp entkommen. Er antwortete Folgendes, als man ihn auf die antisemitischen Tendenzen in Wagners Schriften und auf dessen schwierigen Charakter ansprach: ‚Es hat im 19. Jahrhundert bestimmt angenehmere Zeitgenossen, als Richard Wagner gegeben, aber keiner von ihnen, hat den ‚Tristan‘ komponiert!‘ Damit brachte es der Literaturkritiker auf den Punkt, so möchte ich meinen: Was soll von Richard Wagner bleiben?

Was bleibt überhaupt von der Musik, liebe Q2c? Während eines Referates über den Jazzsaxophonisten John Coltrane wurde dessen Gedicht ‚A Love Supreme‘ rezitiert. Dabei konnte  man eine besondere Atmosphäre spüren. Das bleibt.  Die Kraft, der im Jahre 1964 in englischer Sprache aufgeschriebenen tief religiös geprägten Lyrik Coltranes, im Zusammenspiel mit der spirituellen Musik, wirkt auch im Jahre 2022, und, so möchte ich prognostizieren, sie wird es auch in 100 Jahren noch tun, während das jetzt gerade neueste ‚Samsung Galaxy‘ Smartphone dann natürlich längst kalter Kaffee sein wird. Gehen wir noch weiter zurück in die Musikgeschichte, zu Mozarts Oper ‚Cosi fan tutte‘, 1789 komponiert.  Junge, noch unerfahrene  Menschen probieren die Liebe aus, aus einem zunächst eher spaßig gemeinten Experiment wird plötzlich ernst: gibt es unendliche Liebe, ist sie unteilbar? So schwankt Mozart in seiner genialen Vertonung des DaPonte -Librettos denn auch zwischen dem eher auf Situationskomik bauenden Buffastil  und einem eher ernsten Stil – wie z.B. in dem zauberhaften Terzettino ‚Soave sua il vento‘ aus dem 1. Akt. In diesem erklingt, ausgerechnet auf dem Wort ‚desir‘,  ein unruhig schwelender Akkord, der – was den Inhalt der Oper anbelangt – den Liebenden einen Vorgeschmack auf das, was sie erwartet, zu geben scheint. Diesen höchst faszinierenden Mischstil gibt es so nur bei Mozart. Diese Musik ist 232 Jahre alt, hat aber nichts von ihrer Frische und Lebendigkeit eingebüßt und vermag auch heute noch, wenn man den historischen Staub ein wenig ‚wegpustet‘, Menschen zu berühren. Das bleibt.

So, jetzt gibt es noch einen kleinen ‚Kehraus‘, der ursprünglich in der Abizeitung erscheinen sollte, es dann aber nicht tat, da ich zu spät war … oder das Abizeitungskomitee zu schnell … Dazu möchte ich nun meine Klasse, die Q2c, etwas in den Fokus nehmen ….  alle anderen müssen sich das  jetzt leider mit anhören  …. Ich möchte –  nicht zu meiner Entschuldigung, sondern eher zum Verständnis –  hinzufügen, dass ich vor dem Verfassen des Folgenden das eine oder andere Glas Wein zu mir genommen habe ….

Nachdem ich auf dem bunten Abend in Noer ja schon alles Wesentliche über die Q2c gesagt habe, soll nun der Vorhang aufgehen, für ein kleines Dramulett, in dem ihr und ich mitspielt, natürlich unter Decknamen, wegen des Datenschutzes ….

Montag, 1. Stunde, Musikraum 3, Refektorium:

Lohengrin: So, Kinder, ich hab‘ was Schönes für euch klar gemacht: wir machen einen Ausflug, heute, jetzt, sofort….

Läuferin meldet sich: Ich wollte einmal sagen, dass Doppelname – Ohne gerade auf Toilette gegangen ist …

Lohengrin: Waas? Aber das ist ja …. was ganz Neues, sonst ist doch immer Blümchen …. und dann Leonie

Biker (grinsend): Das hat was zu bedeuten!

Alabama: Super, mit dem Ausflug! Wo soll’s denn hingehen?

Lohengrin: Äh, also ….

Lenaboy: Nun erzählen Sie mal, wo wir hingehen!

Lohengrin: Tja, also …. um’s kurz zu machen …. Wir gehen in die Musikerhölle ….

Danish-Superbrain: Jetzt echt ….?

Redhair: Es muss aber heißen Musiker:innenhölle

Lohengrin:  Nein, nein, wir gehen in die Außenhölle, in der Innenhölle sind die ‚bei heruntergelassenem Fenster im Auto zu laut Bum-Bum – Musik Hörende‘!

Monaliza: Wer ist denn alles so in der Musikerhölle?

Lohengrin: Tja … unter anderem … er! (geht zum Klavier und spielt den Tristanakkord)

Ballerina: Was? Der Meister …. In der Musikerhölle? Warum das denn??

Lohengrin: Tja … warum wohl? Mal sehen, ob ihr immer gut aufgepasst habt, kam nämlich im Unterricht vor … Capriccia, erklär mal!“

Capriccia: Äh …. Wegen dieser Schrift, über Juden in der Musik?

Lohengrin: Sehr gut, Capriccia, genau deswegen, das ist wirklich unerträglich, was er da über Mendelssohn vom Stapel gelassen hat, obwohl er dessen ‚Hebriden – Ouvertüre‘ während einer Konzertreise nach England 1855 vor Queen Victoria dirigiert hat … irgendwie widersprüchlich, der Meister … So, jetzt aber los, um 10 haben wir einen Termin bei Miles Davis!

Es ist kurz vor 9 Uhr, der Schulhof des Johanneums ist menschenleer. Im geduckten Gang bewegt sich die Q2c Richtung Kellerraum unter der Aula. Dort befindet sich der Eingang zur Musikerhölle …

In der Musikerhölle

Ehrfürchtig tapert die Klasse durch die spärlich beleuchteten Gänge hinter Lohengrin her, schwefelgelber Dampf steigt auf, bis sie einen grell erleuchteten Platz erreicht, der ausschaut, wie die U-Bahnstation ‚Karlsplatz‘ in Wien. Dort steht …. Gustav Mahler!

Die Q2c stoppt – wiederum ehrfürchtig – ihren Tapergang und ist beinahe schon dabei Lobpreisungen auf die Sinfonien des Komponisten anzustimmen, als man sich – gerade noch rechtzeitig – daran erinnert, dass das hier die Musikerhölle ist!

Gustav Mahler: Grüß Gott (hahaha), die Herrschaften! Befindet sich unter Ihnen eine junge Dame namens ‚Miss Finger‘?

Miss Finger (schüchtern kichernd): Jaaa, das bin ich.

GM: Denken Sie eigentlich, ich bin taub? Bin ja nicht Beethoven! Sie haben dem Herrn Lohengrin ja seinerzeit sehr imponiert, mit Ihrem Referat über mich … an meinem Grab in Grinzing! Ja gehn’s, was glauben’s denn, was man da so alles hört? In einem Grab? Also …. die Sache mit Alma, ich hätte ihr das Komponieren verboten …. und mich mal so  eben als Frauenfeind hinstellen …

Miss Finger: Steht so bei ‚Wikipedia‘ …. Können Sie ja mal ‚tryen‘.

GM: ‚tryen‘??? Dort steht aber wohl nicht, was sie komponiert hat …. Alma hatte eine Schwäche für unbekannte Naturdichter der Lüneburger Heide im 9. Jahrhundert vor Christi …. Deren Sonette hat sie dann vertont …. für Blockflötenquartett und Countertenor …. Als sie das mal aufführen ließ, sind unser Hund und die zwei Katzen weggelaufen … auf nimmer Wiedersehen …. Da hab‘ ich ihr das verboten, aus reiner Tierliebe …. Sonst wären unsere Kanarienvögel tot von der Stange gekippt.

Miss Finger: Ach soo, bitte um Verzeihung, Herr Mahler …

Lohengrin (tuschel, tuschel): Du musst ihn mit Meister anreden …

Miss Finger (flüster, flüster):  …ihn auch?

Es macht ‚puff‘ und Gustav Mahler verschwindet in einer türkisgelben Rauchwolke. Auf einer Anzeigentafel der U-Bahn-Station Karlsplatz ist zu lesen: ‚Achtung, Achtung, Gustav Mahler ist gar nicht in der Musikerhölle, sondern im Musikerhimmel, er wollte nur mal eben vorbeischauen, um Miss Finger Bescheid zu geben‘…..  Es wird ziemlich dunkel, man hört ständig die ersten zwei Takte von ‚So What‘ in einer Endlosschleife. Lohengrin und seine Klasse stehen unschlüssig herum. Plötzlich materialisiert sich in einer pink-lila Wolke … Miles Davis!  Er trägt Boxershirts und sieht ungefähr so aus, wie auf dem Cover von ‚Bitches Brew‘.

Miles Davis: Hey, you bloody guys and dolls, what’s going up?

Biker: Oh, hello Mister Davis, we are all great fans of you. May I ask you a question?

Miles Davis: Yes, you guy with the broken arm, but nothing about the reasons, that brought me to this  mf… place.

Biker: Why did you avoid, to make any vibrato, when playing the trumpet?

Miles Davis: Avoid? Are you joking? I like the vibratosound  very much! As a young boy I always listened to the recordings of Louis Armstrong, Sidney Bechet and Maria Callas, but I didn’t know how to make it! That’s the truth about the great Miles Davis and now I’m in this goddamned Musicianhell ….        I could write a book (if I were a bell), my funny valentine!

Fagotta: War das jetzt ein Hinweis auf die Abiklausur?

Schachspieler: Natürlich nicht, woher soll er das denn wissen?

Miles Davis zündet sich auf ziemlich ästhetische, coole und sehr existenzialistische Weise eine ‚Lucky Strike‘ an und verschwindet so plötzlich wie er gekommen ist in der entstehenden Rauchwolke.

Blümchen, Emilie, Leonie: leichtes Hüsteln

Eine kleine Gestalt erscheint: schwarzer Umhängemantel, Wuschelbart, großer runder Hut tief in die Stirn gezogen, zwei listige Augen blinzeln darunter hervor, sonst lässt sich wenig erkennen.

Ballerina: unsicher: Äh, guten Tag, Herr …. Brahms?

Brahms ?: Sie zweifeln wohl, dass ich es wirklich bin?  Bei dem Trompeter in Boxershirts haben Sie ja auch nicht gezweifelt. Sie können mich ja etwas fragen, was nur ich weiß …. also Brahms ….

Ballerina: etwas verwirrt: Äh, ja, also: Im letzten Satz Ihrer vierten Sinfonie erklingt in Variation 4 ein Sarabandenrhythmus und eine Hämiole. Ist das als Verbeugung vor dem Barockzeitalter gedacht oder wie muss man das interpretieren?

Brahms ?: Hä?

Ballerina: Hämiole.  singt mit ihrer Sopranstimme den Hämiolenrhythmus andeutend: da-dada-dada-dada.

Brahms ?: Dada? Das ist nicht von mir!

Ballerina: schaut verlegen zu Lohengrin: Ich glaub‘, das ist gar nicht Brahms …

Brahms ?: nimmt plötzlich seinen komischen Hut ab und reißt sich den Bart herunter; darunter kommt die unverwechselbare Physiognomie von Helge Schneider zum Vorschein: Hahahaha,  reingelegt!  Freut sich diebisch und entschwindet lustig weglaufend.

Ballerina: erleichtert: Ich hab‘ mir gleich gedacht, dass Brahms nicht in die Musikerhölle gehört!

Alabama (grübelnd): Aber, Moment mal, Helge Schneider ist doch noch gar nicht tot, also kann das hier auch nicht die Musikerhölle sein!

Lohengrin: Sehr gut, Alabama! Ich bin ja auch kein Schwanenritter. Wollte nur mal ein wenig Spaß mit euch haben, denn wie heißt es doch so schön am Ende von Verdis Oper ‚Falstaff‘:

‚Lauter Gefoppte! Weil Einer
Den Andern zum Narren macht.

Doch besser fürwahr lacht Keiner
Als wer am Ende lacht.‘

In diesem Sinne, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, möget ihr euren Humor niemals verlieren, trotz der schwierigen Zeiten, die uns gerade heimsuchen! Und so will ich nun schließen mit einem herzlichen – da wir uns ja gerade in der Musikerhölle befanden –

GLÜCK AUF!!!

Hartmut Jung