Wir müssen neue Wege gehen!

Herr Haßelbeck nahm in seiner Rede für das Kunstprofil des Abijahrgangs 2020 alle Schüler:innen individuell in den Blick.

 

Verabschiedung der Abiturient:innen des Kunstprofilkurses QId

in der Aula des  Johanneums  zu Lübeck am Samstag, den 20. Juni 2020

von Thomas Haßelbeck,

Klassenlehrer des Kunstprofilkurses im Abiturjahrgang 2020

 

„Der Weg, er gleitet fort und fort,

weit von der Tür, wo er begann,

weit über Land, von Ort zu Ort,

ich folge ihm, so gut ich kann.

Ihm lauf ich mit den Füßen nach,

bis er sich groß und breit verflicht‘

mit Weg und Wagnis tausendfach.

Und wohin dann? Ich weiß es nicht.‟

J.R.R. Tolkien, The fellowship of the ring

 

Lieber Kunstkurs,

ihr seid hervorragend ausgerüstet für Weg und Wagnis.

                                                               „Die Füße sind ein Grund zum Gehen‟. Hans Ulrich Banziger

Die letzten drei Jahre sind wir gemeinsam gegangen, jetzt ist unsere Gemeinschaft ans Ende gekommen und löst sich auf. Wir verabschieden uns: Adieu!

                                                                       „Veränderungen gehen gern in Begleitung‟. Stefan Radulian

Ihr geht, ich bleibe. Trotzdem haben wir die gemeinsame Perspektive, dass nun etwas abgeschlossen ist. Wir spüren, dass es bedeutungsvoll ist, deshalb haben wir uns hier versammelt. Deshalb wäre es nicht angemessen, einfach zum Tagesgeschäft überzugehen: Zeugnisse im Sekretariat abholen oder per Post verschicken. Der besondere Moment würde verstreichen, wir hätten die seltene Chance verpasst, uns noch einmal in den Räumen zu begegnen, die uns bis hierher getragen und uns verbunden haben. Wir sehen für diese kurze Stunde einmal von unserer Geschäftigkeit ab. Uns beschäftigt die Frage jedes Reisenden: Was nehme ich mit, was lasse ich zurück?

                                      „Wenn’s gehen soll, muss man den Daumen rühren‟ deutsches Sprichwort

Bei mir stellt sich spontane Freude darüber ein, dass ich unseren Kurs ins Ziel geführt habe. Die üblichen Kleinigkeiten, Kopiergeld, Unterschriftenkontrolle, Anmeldeabschnitte, Bücherlisten und Klausuren können dieses schöne Erlebnis nicht trüben.

Da ist auch Erleichterung, dass in meinem Kopf deutlich weniger Gedanken herumschwirren werden als bisher. Es wird wieder Platz geben für irgendetwas Neues, das sich bisher noch nicht abzeichnet. Als Fazit kann ich sagen, es ist das gute Gefühl, eine Sache bis zum Ende geleitet und abgeschlossen zu haben. Euch wird es ähnlich gehen. Das feiern wir heute, denn dieses Gefühl hat man nicht so oft.

                                       „Was Pessimisten kommen sehen, sehen Optimisten gehen‟.Klaus Klages

Wie schön, dass die Schulleitung, vor dreieinhalb Jahren den Weg frei machte für die Einrichtung des Profilkurses Kunst. Sie hat uns diese gemeinsame Erfahrung ermöglicht. Würde das irgendwann einmal nicht mehr geschehen, der Kunst gingen die Künstler aus!

„Wenn man bergab geht, gehen sogar die Steine mit‟.aus Peru

Und als der Weg frei gemacht war, gingen meine „Vorbereitungen‟ schon los: Wer könnte sich für so einen Kurs melden, wieviele werden es werden, welche wunderbaren Themen könnte ich bearbeiten? Und auch diese Gedanken kamen:  Was, wenn die nicht umgänglich sind, irgendwie verbiestert, vielleicht sogar besserwisserisch, wie überzeuge ich die?

Alles unnötig, denn „die Wege öffnen sich beim Gehen‟. Das hat sich schon gleich zu Beginn auf der Bäk bestätigt. Da wart ihr so eingetaucht in eure Arbeit im Paul-Weber-Haus, dass uns die Aufsicht bei der Schließung mehrfach nachdrücklich zum Gehen auffordern musste.

                              „Wir müssen neue Wege gehen: den Weg des Saatkorns‟.Phil Bosmans

Im Rahmen der Möglichkeiten habe ich versucht, euch in Bewegung zu bringen: Auf dem Fahrrad, durch die Stadt, zu euch selbst, in die Umgebung, beobachten, wahrnehmen. Das alles schließlich in Venedig auf die einzig mögliche Art anwenden: sich verirren. Das ist uns auf dem Weg zum Hostel für einen kurzen Moment  tatsächlich geglückt.

In der Konfrontation mit Kunst und Kunstwerken kann, wer will, neue Seiten an sich entdecken, Gewohnheiten hinterfragen, Fremdes austesten, erkennen, dass Lösungen nur Zwischenstationen sind und nicht das Ziel und dass es die Zwischenstationen sind, die es zu erreichen gilt.

Ihr erinnert euch bestimmt, weil es auch noch nicht so lange zurückliegt, an Hamish Fultons „Walks‟, Richard Longs gegangene Linien und Kreise, an den bewegenden Grayson Perry, der seinen Teddy aus Kindertagen, Allan Measels, auf seinen Reisen immer bei sich hat, aber auch an Hakim Bey’s Theorie des Umherschweifens, Lois Hechenblaikners Winter Wonderland und hoffentlich auch noch ganz zu Beginn an die Andy Goldsworthy Dokumentation Rivers and Tides, in der die Zeit, der Ort und die Bewegung als zentrale Bestandteile der Kunst thematisiert werden.

Ich finde, es lief, es hat wunderbar geklappt. Man konnte das an unserer Venedigausstellung im Refektorium deutlich erkennen. Schade, dass es nicht mehr gelungen ist, unsere Abschlussausstellung weiter zu verfolgen.                          

                             „Wenn du schnell gehen willst, dann gehe alleine, wenn du weit                                     gehen willst, dann musst du mit anderen zusammen gehen.‟aus Afrika

Auch ihr habt euer Mögliches getan, mich in Bewegung zu bringen.  Lehren und Lernen sind auf geheimnisvolle Weise miteinander verwoben.

Rückblickend stelle ich fest, dass meine Begegnungen mit euch sehr ungleich verteilt waren: Mindestens die Hälfte von euch habe ich nur halb so gut kennengelernt, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich fürchte, wir sind noch zu wenig miteinander ins Gespräch gekommen und haben manche Chance dazu ausgelassen.

                                                           „Von sich ausgehen, ohne je in sich zu gehen?‟Hanspeter Rings

Wenn ich meine Gedanken auf euch richte, dann tauchen Bilder auf:

Anna, die es auf den Punkt bringt: „Herr Haßelbeck, sie müssen auch mal strenger sein und rauskommen aus ihrer Komfortzone.‟ Annas röntgenartige Feststellungen beeindruckten mich immer wieder.

Jonna’s Kreativitätsbeschleunigung auch. Jonna kamen die Ideen „schneller, als ein Ferkel zwinkert‟. Für meine Aufträge bedeutete das, dass eine sprachliche Glättung oder zusätzliche Arbeitshinweise auch als komplett andere Aufgabe verstanden werden konnten.

Alida, die die Gabe besitzt, die Dinge in Schwebezustand zu bringen und wie eine Magierin auch dort zu halten.

Luises Gefühlstiefe, um die sie selten großes Aufheben machen möchte.

Beeindruckt hat mich Bens Stern, dem er wie einer der drei Könige folgt, weil er heller und verheißungsvoller strahlt als alles rings um ihn herum.

Alina lehrte mich, dass es schon läuft, wenns läuft. Und wenns mal nicht läuft, dann muss man eben geduldig abwarten, bis es wieder läuft.

Lillys Kraft liegt in der Beharrlichkeit, mit der sie ihre Arbeit durchlebt und dabei manch mutige Seite an sich erprobt.

Joanna erinnert mich daran, dass man das, was man tut, mit herzlicher Freude macht.

Mats nimmt sich etwas vor und findet dann auch eine Lösung.

Philipp lässt sich nicht in die Karten schauen, also vermutet man so manches Ass in seiner Hand.

Emily denkt für uns alle mit und sorgt fürs große Gemeinsame.

Meret schmiedet konzentriert Ideen mit Hand und Fuß und braucht daneben keine zusätzlichen Features.

Charlotte liebt das Leben von Herzen und kümmert sich mit viel Gespür um diejenigen, die Kümmer brauchen.

Merle ist in Wirklichkeit Pina oder Kali oder Casanova oder Engel oder Teufel oder waren sie eigentlich auch der Frosch bei dieser SV-Aktion?

 

Das sind meine Bilder.Beim Verfassen der Gedanken hatte ich das Gefühl, dass die Zeit ihr Werk schon begonnen hat: Sie werden hier und da schon unscharf, die Bilder, wie bei Irene Andessner.

                                                                                 „Mit leichtem Gepäck reist es sich besser‟.unbekannt

Wie geht es nun weiter? Wir werden alle bald anderswo Station machen, dort gibt es ein neugieriges Hallo, man wird uns zuhören und wir werden was zu erzählen haben.

Das wünsche ich allen!

Thomas Haßelbeck

Klassenlehrer des Kunstprofilkurses im Abschlussjahrgang 2020