Wer ist Ich?

Und wie frei bin ich eigentlich? Nicht nur angesichts der Beschränkungen durch Corona, sondern auch aufgrund meines Menschseins? Die Q1b und c haben dazu im Religionsunterricht Essays geschrieben, die die gegenwärtige Situation mit anderen Augen betrachten lassen.

Wer bin Ich? Wer ist das Ich in mir? Warum bin Ich wie Ich bin? Und bin Ich begrenzt?

Alles Fragen, die sicher mal im Leben eines jeden Menschen auftreten. Angeregt durch vielleicht Lehrkräfte in der Schule, vielleicht philosophierende Freunde, das Buch, welches gestern noch auf meinem Nachttisch lag, Arbeitskollegen, Eltern oder einschneidende Erlebnisse. Irgendwann beschäftigt sich sicher jeder mit diesem Thema.

DOCH: Wie finde ich heraus, wer mein Ich ist? Und wovon es vielleicht abhängig ist, obwohl ich ja ein unabhängiges Individuum bin?

Um diese Fragen besser beantworten zu können, fangen wir am Beginn unserer Persönlichkeitsentwicklung an. Also bei der Geburt, womit wir auch schon die erste Abhängigkeit erreicht haben: Die uns mitgegebenen Erbinformationen durch die Eltern. Aber hat die genetische Abstammung von den Eltern mit der Entwicklung des Ichs zu tun? Steht uns die ganze Welt zur Verfügung, um ein eigenes Ich zu werden oder sind wir im Ich-Sein eingeschränkt, wie auch durch die physischen Körpereigenschaften?

Eigentlich das Gegenteil beweisen wollte ein Mann, der die Minnesota-Studie begonnen hat, welche inzwischen mit einer Laufzeit von schon fast 40 Jahren und einer Teilnehmergröße von 7000 Zwillingspaaren die größte angelegte Suche nach der Abhängigkeit des Ichs von den Erbanlagen der Eltern ist. Begonnen hat diese Studie, als der Psychologe Professor Thomas Bouchard in der Zeitung von einem wieder vereinten Zwillingspaar las: den Jim-Twins. Wenige Wochen nach der Geburt wurde das eineiige Zwillingspaar von verschiedenen Eltern adoptiert und so wuchsen Jim Lewis und Jim Springer getrennt voneinander auf. 39 Jahre später lud sie der Professor ein, um die Milieutheorie zu beweisen. Diese besagt, dass die Verhaltenseigenschaften von Menschen durch die Umwelt bestimmt sind und somit durch das Milieu, in dem jemand aufwächst und NICHT durch die Erbanlagen der Eltern. Neben medizinischen Untersuchungen wurden psychologische Tests erdacht, welche die Zwillinge getrennt voneinander durchführten. Die Ergebnisse waren gravierend:

Wie es bei Zwillingen üblich ist, gibt es bei den Brüdern viele physiologische Übereinstimmungen. Darüber hinaus sind der Gang, die Mimik, das Temperament und die Reaktionen auf bestimmte Testbilder sowie der Intelligenzquotient sehr ähnlich bis identisch (Die Brüder konnten sogar ihre aufgenommenen Stimmen kaum voneinander unterscheiden.). Doch das Besondere an den beiden war der Lebenslauf: Beide waren in der Schule in Mathematik gut und in Orthographie schlecht gewesen. Beide hatten zeitweise als Tankstellenwärter und dann als Hilfssheriffs gearbeitet. Beide hatten einen Hund mit dem Namen Toy und eine Frau in erster Ehe namens Linda und in zweiter Ehe namens Betty. Einer der beiden nannte seinen Sohn James Allan, der andere James Alan. Auch fahren sie ein Auto derselben Marke, sind Hobbyhandwerker und haben viele Jahre am selben Küstenstrich Urlaub gemacht. Auch weitere Dinge stimmten in ihrem Lebenslauf überein.

Professor Bouchard hielt das Ergebnis zunächst für einen Zufall und suchte so nach weiteren Zwillingspaaren, erweiterte die Tests und forscht bis heute auch mit zweieiigen Zwillingen zur Kontrolle. Bei Eineiigen Zwillingspaaren, die wie die Jim-Twins getrennt voneinander aufwuchsen, wurden ähnlich viele Übereinstimmungen in den Verhaltenseigenschaften gefunden. Ein vorläufiges Ergebnis hatte bei der Intelligenz eine Abhängigkeit von 60% -90% von den erblichen Anlagen ergeben. Und viele der Übereinstimmungen sind wohl NUR durch die fast identische Genausstattung der Zwillinge zu erklären.

Nach diesem Einblick in die Studie, stellen Sie sich vermutlich auch die Frage: Ist das wirklich wahr? Wird mein Verhalten und damit auch mein Ich durch die Erbanlagen bestimmt? Darauf antworten kann man nach dieser Studie wohl mit: So halb! 60%-90% sind nicht 100% und Ausnahmen bestätigen die Regel!

Aber wir haben naturwissenschaftlich geschätzt 50.000 Strukturgene und das Zehnfache an Regulatoren, die unsere Eigenschaften als Ich steuern. Eine ganze Menge, die nicht einfach unbeachtet bleiben kann.

Aber: Was bedeutet es schon, dass Sie von Ihren Eltern im Ich-Sein abhängig sind? Auch im physischen sind Sie durch Ihre Eltern begrenzt, warum also nicht auch im Ich? Dabei liegt doch nahe, dass wir gravierend von unseren Eltern abhängig sind, eben weil wir durch sie entstanden sind und genetisch von ihnen abhängig sind. Auch die sichtbar von unseren Eltern kommenden physischen Eigenschaften haben sicher etwas mit dem Ich zu tun. Wer körperlich schlechter für bestimmte Sportarten gebaut ist, wird sich diese wahrscheinlich nicht als Lieblingssportart aussuchen. Oder Ein Mensch, der ohne Hände geboren wird, wird nicht sagen: „Ich kann mit meinen Händen die Mona Lisa malen!“

Stattdessen kann dieser vielleicht mit den Zehen die Mona Lisa von Da Vinci kopieren. Wer weiß schon, was für Talente noch in uns schlummern.

Worauf ich hinaus möchte, ist, dass egal wie abhängig oder unabhängig wir in unserem Ich-Sein von unseren Genen sind, trotzdem Wir die treibende Kraft sind, die entscheidet, wie wir sein wollen. Natürlich kann uns, der Studie nach, angeboren sein, dass wir eingeschränkt intelligent sind und natürlich kann jeder für die eigenen Kinder bestimmte Namen präferieren, aber wie wir uns anderen gegenüber verhalten, was wir selber leisten wollen und wofür wir unsere Zeit investieren, das sind doch Dinge, die Wir als Ich entscheiden und auch machen!

Oder nicht?

Immerhin gibt es da ja auch noch diese Milieutheorie. Es ist zwar nicht ganz richtig, dass das Ich nicht ganz unabhängig von den Erbanlagen ist, aber wie viel hat uns unsere Umwelt in den Jahren seit der Geburt geprägt? Eine nächste Frage wäre demnach: Ist mein Ich nicht nur durch meine genetische Ausstattung eingeschränkt, sondern auch geschliffen worden durch Familie, Freunde, Bezugspersonen, die Natur, Schule, Kultur/Religion, Arbeit, das Milieu, indem ich mich bewege und alles, was andere mit mir machen?

Schauen wir uns doch einmal an, wie sich ein Neugeborenes verhält: In den ersten Monaten ist es schutzlos, muss gefüttert, angezogen, bespaßt und zu Bett gebracht werden. Ständig ist es dabei, Gegenstände in den Mund zu stecken, sich zu bewegen und hat einen anderen Schlafrhythmus, wodurch viele Eltern verzweifeln. Aber irgendwann fängt es an zu laufen und die Geräusche, die es von sich gibt, werden zu richtigen Wörtern. Was es aber sagt und wie es sich bewegt, muss es von irgendwoher gelernt haben. Und das hat es von den Personen gelernt, die es viel um sich herum hat. Ein Kind von Deutsch sprechenden Eltern, welches zu Englisch sprechenden Kindern in den Kindergarten gegeben wird, wird früher oder später anfangen, diese Sprache zu lernen, um mit den anderen Kindern kommunizieren zu können oder umgekehrt. Es wird die Sprache sogar schneller und einfacher lernen als später in der Schulzeit.

Dieses einfache Beispiel lässt sich auf alle Bereiche des Lebens übertragen. Ob es die Dinge sind, die wir in der Schule lernen, wie lesen, schreiben und rechnen oder ganz praktische Sachen, wie kochen, backen, einen Schraubendreher benutzen, das Bett beziehen, ein Fahrrad reparieren oder später bestimmte Abläufe für den Job, Wir sind zu Beginn unseres Lebens jahrelang Nachahmer und probieren aus, was wir alles leisten können. Aber auch, wenn wir uns dann selbstständig fühlen, hört dies niemals auf. Wenn wir etwas lernen sollen oder wollen, muss es uns zuerst vorgemacht und erklärt werden. Erst dann können wir es auch versuchen. Von den Menschen, die uns Dinge vormachen und erklären, sind wir also abhängig.

WAS uns WIE vorgemacht und erklärt wird (in Bezug auf die Ausdrucksweise, die Verständlichkeit, die Emotionen des Erklärenden und unsere eigenen sowie auch die Umgebung, in der wir uns währenddessen befinden), ist entscheidend dafür, was wir später alles können und machen und wie wir das Gelernte selber ausführen.

Und so geht es uns in allen Dingen! Lernen wir etwas nicht, wissen wir eventuell nie, wie man es macht. Lernen wir etwas, während wir Angst verspüren, werden wir dies eventuell nicht gerne machen.

Auf die gleiche Art und Weise lernen wir auch Gefühle kennen, Kommunikation, wie man Entscheidungen trifft und das Verhalten anderen gegenüber sowie die Einstellung zu anderen, zu uns selbst und was wir für falsch und richtig halten.

Mit Verlaub, aber wenn uns niemals jemand sagt, dass es falsch ist, jemanden umzubringen, würden dann alle morden? Ein überdimensioniertes Beispiel, das doch sehr gut mit reinpasst.

DENN: Sind wir nun im Ich-Sein geprägt von unserer Umwelt?

Ich denke, diese Frage kann sich jeder individuell besser beantworten, als ich jemals generell formulieren könnte, denn Sie haben recht, wenn Sie sagen, es trifft nicht für alle gleichermaßen zu.

Was ich aber sagen kann, ist, dass sicherlich jeder zu Beginn eine Aufgabe so versuchen wird anzugehen, wie es vorgemacht wurde und jeder erst mit der Zeit versuchen wird, eigene Wege zu finden.

Und genau darin liegt der große Unterschied zwischen mir und Meinem Ich und den anderen. Genau da finden wir unser Ich! NUR Ich lebe auf Meine Art! Und da ist es egal, wie viel Ich durch meine Abstammung eingeschränkt oder meine Umwelt beeinflusst bin!

Ich bin Ich und Du bist Du

Und dabei bleibt es, denn hör gut zu:

Nur Du bist ganz Dein Ich gewiss

Und willst du wissen, wer du bist,

Dann schau in dein Herz tief hinein!

 

Beobachte dich in deinem Tun

Und beachte eins, dann kannst du ruhn:

Ein Mensch wie du, den gibt es nicht,

Drum pass auf, dass dieser nicht zerbricht

Und mach zwischen all deinem Suchen

Auch mal `ne Pause und gönn dir ein Stück Kuchen!

Phillip Gutberlet, Q1b