Wie gut trägt unser Bildungssystem?

Guten Morgen auch von mir und vielen Dank, dass wir hier im Namen des Jahrgangs die Rede aus Schüler*Innenperspektive halten dürfen. Ich persönlich freue mich auch sehr, dass ich diese Rede halten darf – auch wenn ich heute gar kein Zeugnis bekomme 🙂

Zunächst möchte ich natürlich – auf ehrlicher Basis oder wie man heute sagt – Danke sagen, für die ganze Unterstützung die wir gesammelt aus diesem Raum bekommen haben. Sie als Eltern, als Lehrkräfte, als Freunde haben alle dazu beigetragen dass wir hier heute stehen und auch wenn das vielleicht manchmal aus den Augen gerät: das ist absolut nicht selbstverständlich! Unserer Generation wird ja so manchmal nachgesagt, dass wir keine Dankbarkeit für die selbstverständlichen Dinge aufbringen können, auf dieser Schule bekommt man im Verhältnis zu anderen Schulen wirklich viele Entfaltungsmöglichkeiten, die meisten Lehrer*innen wollen nur das beste für einen und man bekommt immer auch ne zweite – oder vielleicht auch dritte – Chance. Und ich glaube wir alle wissen das zu schätzen, wir hatten alle unsere Momente, wo wir das auch gebraucht haben.

Nach dem antithetischen Redemodell kommt jetzt, wie sie warscheinlich antizipiert haben, das Aber. Also woran liegt das, dass wir oft nicht auf der Höhe waren, zu spät gekommen (also alle außer mir natürlich), mal im Unterricht eingeschlafen sind oder auch mal länger krank waren? (Achtung, Systemkritik jetzt nicht persönlich nehmen) Daran dass wir in ein Bildungssystem voller Leistungsdruck und dem Rhythmus von mindestens 30% der Menschen nicht entsprechenden Aufstehzeiten gequetscht werden, in der Phase unseres Lebens, in der sich unser Hormonhaushalt selbst auf den Kopf stellt (oh ja, vielleicht hab ich in Bio doch aufgepasst) und in der wir die größte Entwicklung seit dem Kleinkindalter durchmachen. In dieser Zeit sind wir in einer täglichen Überwachungssituation, jeden Tag bewertet werden. jede Meldung im Unterricht, jeder Aufsatz, jede gerissene Deadline wird notiert. Und am Ende des Ganzen? 3 mal 6 Stunden Klausur. Auf Toilette gehen? aber nach 6 Minuten wieder hier sein! Essen? aber nichts was geräusche macht! Eine Situation in die man nie mehr in seinem Leben kommt – 6 Stunden wo wir liefern müssen, ungeachtet unserer Lebenssituation. mir kann niemand erklären, dass das auf das Leben vorbereitet. Mir kann niemand erklären, warum das gut sein soll für unsere Persönlichkeitsentwicklung. Aber vielleicht sind das diese Hard Skills, von denen niemand mehr spricht.

Und das soll auch überhaupt kein Zeigefinger werden oder beschuldigen, viele von Ihnen haben es uns leichter gemacht, haben versucht, die Hürden dieses Systems besser zu überwinden, aber was ich sagen möchte: viele von uns hatten nicht nur zwischenzeitlich große “Struggles” mit diesem System, ich erinnere mich gut an die Momente wo wir alle draußen standen und gelacht haben, aber zur Wahrheit gehört auch, dass es eben viele Momente gab, wo wir vor der Schule geweint haben, weil die Noten nicht so war wie benötigt oder weil – trotz aller Anstrengungen – die mündliche Note einfach nicht zweistellig wurde. Auch das gehört zu diesem Tag. Da kann man jetzt natürlich sagen, das ist der harte Prozess durch den jeder durch muss, aber ich möchte mich damit nicht abfinden. ich möchte mich nicht abfinden damit, dass das jedes Jahr wieder so sein muss. Dass Schüler*innen jeden Tag unter diesem Leistungsdruck der Atem wegbleibt. Und ich hoffe, dass nie wieder jemand sagt, dass man sich den Druck nur selbst macht. Nein, das ist zu einfach und genau wie uns gesagt wurde, geben sie sich nicht mit einfachen Lösungen ab, gehen sie in den afb 3, möchte ich ihnen das mitgeben. Leistungsdruck kommt aus der Gesellschaft, aber da kann auch das individuelle Eltern und Lehrerumfeld seinen Beitrag leisten – in Zukunft. “Nur unter Druck entstehen Diamanten.” Mein absoluter Lieblingssatz aus dem Chemieunterricht. Aber bei zu viel Druck gehen auch die härtesten Diamanten kaputt.

Und nach 12 Jahren auf dieser wundervollen Schule habe ich auch gelernt, dass ich nie nur eine Perspektive stehen lassen darf, weil ich dann ideologisch borniert wirke, deswegen hier die andere Sichtweise: natürlich gibt es auch faule Momente, natürlcih gab es auch unter uns den ein oder anderen unverschämte Schüler wo es richtig war den in seine Schranken zu weisen und natürlich brauchen wir Feedback, um uns zu entwickeln. Aber ich glaube an zu wenig Kritik mangelt es keinem Jugendlichen. Schule ist und bleibt ein Mikrokosmos, wo man niemals den ganzen Menschen sehen wird. Und das ist auch okay so: aber deswegen kann und sollte man sich auch vielleicht lieber einmal zu wenig als zu viel private Kritik üben oder den Charakter, den man in der Schule zeigt, auf die ganze Person übertragen – wir alle haben viele Gesichter. Und je mehr die Schule ein Safespace ist, je mehr sie Lebensort ist, desto wohler können wir uns fühlen und desto weniger Abwehrhaltung gibt es vielleicht auch. Ich glaube, auch das Johanneum kann immer noch weiter daran arbeiten, Schüler*innen nicht als das Produkt der Leistungen zu sehen, sondern die Menschen dahinter und sie versuchen in ihrem Leben weiterzubringen. Ich persönlich kann sagen, dass ich hier viel für meine Persönlichkeitsentwicklung mitgenommen habe (überraschend bei den Anwesenheitszeiten, nicht?), aber wenn das was der eine oder die andere mitnimmt ist, dass man sich immer verbiegen muss, dass man nie genug ist, dann ist das vielleicht nicht die richtige Message.

Denn ich möchte zum Schluss nochmal betonen, was für ein wichtiger Ort Schule für uns alle in den letzten Jahren war – ob gewollt oder nicht gewollt – wir haben hier viel (manche mehr andere weniger) Zeit in einer prägenden Phase verbracht, sie, liebe LehrerInnen, haben eine große Verantwortung für die Zukunft unserer Gesellschaft. „Sie sind die Gesellschaft von morgen“, sagen Sie – und Sie sind diejenigen, die diese Gesellschaft auch weiterhin prägen dürfen.

Schließen möchte ich, wie es sich gehört, mit einer Gruppenarbeit enden von mir und Willy Brandt: Bildung ist nicht alles, aber ohne Bildung ist alles nichts.

Vielen Dank, dass Sie uns so lange ausgehalten haben.

Sophia Pott