Tschüss, Johanneum!
„Wenn ich Dich um drei Uhr nachts wecke, muss die Mitternachtsformel wie aus der Pistole geschossen kommen!“ Einen solchen Satz hat sicherlich jede:r von uns während der Schulzeit einmal hören müssen. Ob irgendjemand dieser Forderung nachkommen kann, sei dahingestellt. Klar ist jedoch, dass ein:e Abiturient:in ein Jahr später höchstwahrscheinlich nicht mehr dazu in der Lage wäre.
Zu keinem Zeitpunkt unseres Lebens befindet sich die Breite unseres Wissensstandes auf einem höheren Level als zum Zeitpunkt des Abiturs, danach nimmt sie ab und wir vergessen schrittweise den „Erlkönig“ und den genauen Aufbau der Atmosphäre, dafür eignen wir uns in den kommenden Jahren unserer Berufslaufbahn entsprechend viel spezifischeres, aber dafür tieferes Wissen an.
Beinahe ein Jahrzehnt und fast das halbe Leben hat die Mehrzahl des aktuellen Abiturjahrgangs am Johanneum verbracht und schließt einen langen und bedeutenden Lebensabschnitt mit dem heutigen Tag der Zeugnisvergabe offiziell ab.
In Gedanken an diese Zeit stehen wir heute mit gemischten Gefühlen auf der Bühne, um unsere Zeugnisse entgegenzunehmen. Zwar ist es ein Augenblick voller Stolz und Freude, der jedoch auch von ein wenig Wehmut begleitet wird, da der heutige Tag eine markante Grenze durch unser Leben zieht und ein neuer Abschnitt uns erwartet.
Die Meinungen bezüglich eines Neubeginns spalten sich, viele von uns blicken ihm begrüßend entgegen, wobei andere vielleicht ein wenig bedrückt auf die Vergangenheit zurückblicken.
Unabhängig davon ist klar, dass unsere prägende Schulzeit am Johanneum nicht aus unserem Gedächtnis auszuradieren ist.
Dabei spielen jedoch all die rein schulischen Erinnerungen wie die Mitternachtsformel kaum eine Rolle, denn es sind die Erinnerungen, zu denen wir einen emotionalen Bezug haben, über die wir Jahre später noch lachen, nachdenken, reden und die wir uns in Erinnerung rufen werden.
Wenn wir auf unsere schöne, zeitweise coronabedingt kontaktarme, natürlich lehrreiche, abwechslungsreiche, lustige und definitiv ereignisreiche Schulzeit am Johanneum zurückblicken, sind es oft ganz spezifische Erinnerungen, die unsere Gedanken durchkreuzen, wie beispielsweise…
- Fahrradtouren in der 5. Klasse, die bei jedem Wetter stattfanden
- das Plätzchenbacken, das manchmal auch außerhalb der Weihnachtszeit stattgefunden hat
- die Klassenfahrt nach Berlin, die trotz der 37° C viel Spaß gemacht hat
- der Moment nach den Abiturprüfungen, als man wusste, dass das Ende der Schulzeit zum Greifen nahe ist
- die erschreckenden Googlebewertungen über Bettwanzen im Hostel, die die wunderschöne Kursfahrt nach Paris doch nicht verderben konnten
- die Halloweenparty für die Orientierungsstufe, als die meisten von uns noch ganz neu waren
- irgendwelche Gründe zu finden, um die ersten warmen Tage im Jahr nicht im Klassenzimmer zu verbringen
- einer von vielen lustigen Momenten, beispielsweise als sich der Schuh unseres Englischlehrers plötzlich im Müll und er sich auf einem Tisch befand…
- die BeReals auf Klassenfahrt und in der Schule
- die zum Teil besonders spezifischen Kostüme, die wir in unserer Mottowoche bewundern durften
Bei diesen Erinnerungen, die wir als Jahrgang gemeinsam haben, bleibt es nicht. Wir alle haben auch ganz persönliche Highlights. Denn mir hat das Johanneum nicht nur Wissen und einen erweiterten Horizont geschenkt, sondern auch auch andere Erkenntnisse, Erinnerungen und Einblicke.
Wie wäre meine Schulzeit verlaufen, wenn ich früher an das Johanneum gekommen wäre? Was wäre passiert, wenn am Katharineum doch ein Platz frei gewesen wäre und ich meine ursprüngliche Erstwahl erhalten hätte?
Eigentlich ist die Antwort darauf ganz egal, da sie sich sowieso nicht formulieren lässt.
Klar geworden ist mir definitiv, dass Umwege manchmal die besten Wege sind.
So hat das Johanneum nach meinem Schulbeginn dort meinen ursprünglichen Eindruck der Schule völlig verändert. Neben dem breiten musikalischen Angebot, zu dem die weihnachtlichen Lucia-Konzerte, die musikalischen Abende und die Klassenkonzerte zählen, gibt es unfassbar viele weitere Angebote, die mir Einblicke und Erfahrungen geschenkt haben.
So wurde mit dem Angebot ,,Auf Herz und Niere“ in der Projektwoche einer meiner größten Träume wahr, als wir Organe seziert haben. Ebenfalls habe ich die Erfahrung gemacht, dass auf Basis der eigenartigsten Gemeinsamkeiten die interessantesten Freundschaften entstehen können, manchmal auch erst einige Jahre, nachdem man sich kennengelernt hat.
Es gibt nicht eine richtige Methode für jeden Menschen, Wissen vermittelt zu bekommen, es ist also beispielsweise in Ordnung, Gruppenarbeiten eher doof zu finden.
Auch hat das Johanneum mein Interesse an zahlreichen Gebieten (wieder) geweckt und gefördert. Des Weiteren durfte ich im Rahmen des Deutschunterrichts einen bekannten deutschen Autor kennenlernen und mit dem Kurs gemütlich mit Tee eine Lektüre lesen, während es draußen immer weißer wurde. Nicht nur die Jahreszeiten und all die dazugehörigen (schulischen) Feste wie die Senatstaffel bleiben als Bilder in meinem Kopf, sondern auch das alte Schulgebäude, das beim Sonnenaufgang im Winter ganz besonders schön aussieht. Auch bin ich mir sicher, dass ich an keinem Ort so viel gelacht habe, wie am Johanneum.
Letztendlich würde ich meinen Wechsel an das Johanneum keineswegs als Umweg bezeichnen, sondern als einen alternativen Weg, der mein Leben auf mehr Arten und Weisen bereichert hat, als sich hier überhaupt aufzählen lassen, weswegen es keinesfalls einfach ist, all dies hinter sich zu lassen. Darum bin ich dankbar für diesen ,,Umweg“, das Johanneum, an dem ich einige der schönsten Jahre meines Lebens verbringen durfte.
Catharina Freier, ehemalige Q2d, für die Presse-AG