Migrationsprojekt im E-Jahrgang

Wie viele Menschen immigrieren eigentlich nach Deutschland? Sind das zu wenige oder zu viele? Ist Abschiebung mit unseren Werten vereinbar? Und wie sollte die neue Bundesregierung mit dem Thema Migration umgehen?
Diese und viele weitere Fragen hat sich das WiPo-Profil im E-Jahrgang im Rahmen des zentralen Aufreger-Themas der Bundestagswahl gestellt.
Um auf einige der Sachfragen fundierte Antworten zu bekommen, haben wir zwei Experten eingeladen, und zwar unseren ehemaligen Schüler Jonas Freyer (Abi 2019), der mittlerweile bei der Bundespolizei in Bad Bramstedt arbeitet, und unsere ehemalige Schülerin Samira Kilic (Abi 2024), die als Übersetzerin für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Hamburg arbeitet. Beide haben uns vor den Osterferien von ihrer Tätigkeit berichtet.
Jonas hat uns zunächst die Zuständigkeit seiner Dienststelle (Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern sowie Nord- und Ostsee) und die Aufgaben der Bundespolizei (unter anderem alles, was mit Einreise zu tun hat) erläutert. Bei der Einreise wird zunächst zwischen legal und illegal unterschieden. Legal reist beispielsweise ein, wer ein Aufenthaltsrecht für den Schengenraum hat (unter anderem alle EU-Bürger) oder ein Visum (z.B. Touristen oder Studierende).
Illegal reist ein, wer nichts Derartiges vorweisen kann – also beispielsweise jemand mit einem abgelaufenen Visum oder ein ukrainischer Flüchtling, der zwar ein nationales Aufenthaltsrecht für Polen hat, mitunter jedoch nicht für den gesamten Schengenraum. Letztere Einreiseversuche kommen laut Jonas an der Ostgrenze von Mecklenburg-Vorpommern relativ häufig vor und diese Menschen werden dann bei Einreisekontrollen direkt an der Grenze nach Polen zurückgewiesen, d.h. sie reisen gar nicht erst nach Deutschland ein.
Eine andere Situation entsteht, wenn die Bundespolizei beispielsweise eine Gruppe von Flüchtlingen aufgreift, die bereits unentdeckt nach Deutschland eingereist sind. Sofern diese Personen sagen, dass sie um politisches Asyl in Deutschland bitten, müssen sie von der Bundespolizei an das BAMF bzw. eine Erstaufnahmeeinrichtung weitergeleitet werden. Dort können sie dann ihren offiziellen Asylantrag nach Artikel 16a des Grundgesetzes stellen, und dieser muss geprüft werden.
An dieser Stelle übernahm Samira den Vortrag, die aus dem Türkischen dolmetschen kann und die Sachbearbeiter des BAMF auf diese Weise bei der Entscheidung unterstützt, ob ein Flüchtling Asyl bekommt oder nicht.
Der erste Anhörungstermin dient ihr zufolge nur der Feststellung von Personaldaten und Fluchtweg und dauert ca. eine Stunde. Der Zweittermin hingegen dient der Feststellung der persönlichen Fluchtgründe und ist damit entscheidend dafür, ob jemandem Asyl gewährt wird oder nicht. Dies kann zwischen zwei und neun Stunden dauern und ist häufig schwierig, weil der Asylbewerber überzeugend darstellen muss, dass er von seinem Herkunftsstaat verfolgt wird. Wenn ein Flüchtling durch seine Erlebnisse traumatisiert ist, kann er einen Beistand zur Anhörung mitbringen. Samira hat, ohne Details zu nennen, erzählt, dass dies selbst für sie als Dolmetscherin manchmal psychisch belastend sei.
In der abschließenden Fragerunde wollten wir wissen, warum es so lange dauert, bis ein Asylantrag endgültig entschieden ist. Samira zufolge ist es einerseits für den Flüchtling häufig nicht einfach, alle notwendigen Dokumente, wie zum Beispiel seine Geburtsurkunde, vorzulegen. Andererseits ist die Dokumentation der Anhörung auch sehr aufwändig, beispielsweise muss alles, was in der Anhörung gesagt wird, protokolliert und dem Flüchtling zur Verfügung gestellt werden.
Durch die Vorträge ist uns klar geworden, dass sowohl die Bundespolizei aus auch das BAMF diverse gesetzliche Vorgaben befolgen müssen, damit gewährleistet ist, dass einerseits die Interessen der Bundesrepublik gewahrt werden (nur Personen, die dazu berechtigt sind, dürfen einreisen) und andererseits auch die Rechte von Flüchtlingen (politisch Verfolgte genießen Asylrecht). Auch Samira und Jonas haben spürbar darauf geachtet, dass sie uns zwar einen möglichst tiefen Einblick in ihre Arbeit geben, dabei aber keine persönlichen Informationen oder Dienstgeheimnisse preisgeben.
Insgesamt war es total spannend, nicht nur etwas Theoretisches über das Thema Migration zu lesen, sondern Berichte aus der Praxis zu hören und Fragen stellen zu können. Dies hat unser Verständnis für die Komplexität des Themas nochmal erweitert und uns gezeigt, dass keine „einfachen Lösungen“, wie teilweise im Wahlkampf gefordert, gefunden werden können.
Die Frage, wie die neue Bundesregierung mit dem Thema Migration umgehen sollte, muss allerdings immer noch jeder von uns auf der Basis seiner Werte selber beantworten.
Text und Foto: Katja Benkert