Bewegt Euch!

Warum können wir besser denken, wenn wir uns bewegen? Frau Scheibe blieb als Klassenlehrerin auch bei der Abiturrede ihren Themen treu. Was sie nicht nur den Abiturientinnen und Abiturienten, sondern allen Anwesenden empfahl, findet sich hier:

Liebe Eltern und Familien, liebe Gäste, liebes Kollegium, liebe Abiturientinnen und

Abiturienten

Dieses Jahr habe ich das große Los gezogen, die Abirede halten zu dürfen…

Da ich Biologie und Sport unterrichte und überzeugt bin, dass das die wichtigsten Fächer sind – möchte ich euch, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, für euren weiteren Weg mitgeben, was mir am Herzen liegt: der Zusammenhang von Gehirn und Bewegung.

Da in einer Rede das Zitat eines großen Dichters nicht fehlen darf, kommt jetzt

eines von Friedrich Schiller, der schrieb: „Es ist der Geist, der sich den Körper baut…“

Neurobiologen meinen, dass das Gegenteil ebenfalls zutrifft: ein aktiver Körper formt den Geist – verbessert das Denkvermögen.

Ein Leipziger Herzspezialist sagt sogar, Bewegung sei eine körpereigene Stammzelltherapie!

Zur Erklärung gehe ich in der Evolution des Menschen einige Millionen Jahre zurück in die Zeit, als der aufrechte Gang entstand. Er stellte einen Selektionsvorteil in der sich veränderten Umwelt dar und ermöglichte energiesparendes und ausdauerndes Laufen in der Steppe.

Auf dem Weg zum Homo sapiens vergrößerte sich das Gehirn um das 3-fache dank immer präziserer Werkzeuge, die dem Menschen v.a. fett- und eiweißreichere Nahrung sicherte.

Er wurde zu einem anpassungsfähigen Läufer, der die ganze Welt besiedelte.

Die Gene unserer Vorfahren stecken in jedem von uns!

Die Kulturelle Evolution verlief v.a. im letzten Jahrhundert rasant bis zur Entwicklung von Computern, die uns manchmal sogar überlegen sind… z.B. im Rechnen.

Das kann unser Gehirn nicht besonders gut – es ist ein vergesslicher Schussel

Aber das macht unser Gehirn so einzigartig und erfolgreich – sagt der Neurowissenschaftler Henning Beck in seinem Buch: „Irren ist nützlich“.

Was zeichnet uns Menschen aus, abgesehen von der Tatsache, dass wir uns alle anderen Lebewesen untertan machen oder ausrotten ?

  • Anpassungsfähigkeit, Lernfähigkeit, Kooperation und Kreativität –

Ihr Abiturienten seid die besten Beispiele. Diese 4 Merkmale haben es euch ermöglicht, heute hier zu sitzen. V.a. In den letzten 3 Jahren wurden aus „pubertierenden“ Jugendlichen, deren Gehirne sich auf dem Höhepunkt des Umbaus befanden, selbstbewusste, kreative und kluge Köpfe –

mit dem Smartphone in der Hosentasche … Ihr seid jederzeit erreichbar, mit der ganzen Welt vernetzt und … manchmal abgelenkt!

Wusstet ihr, dass es schon eine App gibt, die den Bildschirm transparent schaltet, um zu verhindern, dass ihr mit Autos und unschuldigen Rentnern zusammenprallt, wenn ihr mit gesenktem Kopf aufs Display starrt?

Die neuen Medien ermöglichen euch mehr Freiheit und richtig eingesetzt bieten sie auch mehr Bewegungsfreiheit.

Aber: jeden Tag bekommt das Smartphone mehr Kontrolle über unser Leben!

Wo führt das hin?

Wie sieht die Zukunft des Menschen aus?

Werden wir mal so aussehen?

großes Hirn, verkümmerte Gliedmaßen und dicker Bauch?

Das „jederzeit erreichbar sein“ und Stress im Studium und Beruf führt bei vielen Menschen dazu, dass sie nicht mehr abschalten (können) und dass sie sich weniger bewegen. Das müssen sie ja auch nicht mehr – eine App auf dem Smartphone macht heute viele Gänge überflüssig.Vernetzung macht häufig sogar den Weg zum Büro/Uni überflüssig.

WELAN sei Dank können viele rund um die Uhr arbeiten, am Wochenende

und im Urlaub.

Zurück zu unserem Gehirn:

Es benötigt 20% der aufgenommenen Energie und um diese nutzbar zu machen, benötigt es viel Sauerstoff. Um Nährstoffe und Sauerstoff zum Gehirn zu transportieren, brauchen wir ein gesundes Herz-Kreislaufsystem – und deshalb müssen wir uns bewegen und dazu brauchen wir Muskeln.

Nicht umsonst haben wir euch jahrelang „gequält“ mit Turnen, Leichtathletik, Spielen und Laufen. Und viele von euch machen in ihrer Freizeit Sport. Es gibt unter euch super Ballspieler, Läufer, Schwimmer, Tänzer und, nicht zu vergessen die Musiker, die den Sport brauchen!

Die dadurch geschaffenen Grundlagen, nämlich Koordination, Kraft und Ausdauer, können euch helfen, auch weiterhin in Bewegung zu bleiben. 3x pro Woche ½ Stunde körperliche Anstrengung (besser jeden Tag) helfen schon, Stress abzubauen und Depressionen vorzubeugen.

Wobei das Laufen die am wenigsten zeitaufwändige Bewegungsart ist, die sowohl Herz und Kreislauf als auch die Muskulatur trainiert.

Jetzt machen wir eine kleine „bewegte Pause“, da nach spätestens 5 min. konzentrierten Zuhörens der Arbeitsspeicher unseres Kurzzeitgedächtnisses voll ist. Unser Gehirn braucht ein bisschen Zeit, um Informationen langfristig zu speichern – anderenfalls verschwinden sie aus dem Bewusstsein und der Erinnerung.

Eine kleine Umfrage an die Eltern, Gäste und mein Kollegium:

Wenn die Aussage zutrifft, bitte kurz aufstehen (nicht melden….)

  • Ich fahre mit dem Fahrrad zur Arbeit
  • Auch bei schlechtem Wetter und im Winter
  • Ich nehme die Treppen statt Rolltreppe oder Aufzug
  • auch in den 5.Stock.
  • Ich bewege mich am Wochenende regelmäßig
  • Ich treibe 2-3x in der Woche Sport
  • Ich mache mindestens einen „Bewegungsurlaub“ im Jahr (Wandern, Bergsteigen, Radtouren,…)
  • Ich nutze mein Smartphone am Wochenende und im Urlaub nur im Notfall

Mehr als 3x aufgestanden? Super! Vorbildlich! Weiter so!!!

Liebe Kollegen: Wenn ihr euch jetzt regelmäßig bewegt, ist das nicht nur gesundheitsfördernd, sondern auch eine super Vorbereitung für den Lübeck-

Staffel-Marathon Anfang Oktober. Vielleicht schaffen wir es ja in diesem Jahr, eine Lehrer-Mannschaft aufzustellen…..

Ich habe vorhin die Gene erwähnt, die wir von unseren Vorfahren geerbt haben.

Wir sind genetisch gesehen noch immer auf das Leben als Jäger und Sammler programmiert, denn unsere Gene haben sich in den 10.000 Jahren seit der Steinzeit kaum verändert!

Damals vollbrachten die Menschen jeden Tag athletische Höchstleistungen, um Nahrung zu suchen, wilde Tiere zu jagen oder vor ihnen zu fliehen!

Nur die, die das schafften (survival of the fittest), gaben ihre Gene weiter – Diese Gene sorgen für optimale Abläufe im Körper – solange wir uns bewegen!

Und wir sind nicht eingestellt auf Bewegungsmangel. Der kann uns krank machen:

Z.B. Herz-Kreislauf Erkrankungen, Gedächtnisschwund, Depressionen, Diabetes und zu hohes Gewicht.

Aber Bewegung bewahrt uns nicht nur vor Krankheiten – sie lässt auch neue Zellen sprießen … im Gehirn! Bewegung verbessert damit die Wirksamkeit und Leistung unserer Nervenzellen (auch im fortgeschrittenen Alter…).

Und nicht nur das!

Ich habe erwähnt, dass Computer besser rechnen können als wir – der Trend der Digitalisierung hält an – alles, auch die Schule, ist bzw. wird vernetzt.

Henning Beck schreibt: „Doch die großen Ideen der Welt werden auch in Zukunft nicht digital sondern analog gedacht. Von Gehirnen, nicht von Smartphones. Computer lernen Dinge – wir verstehen sie. Computer befolgen Regeln – wir können sie ändern.

Computer mögen uns im Schach schlagen, das ist nicht verwunderlich, weder kreativ noch besorgniserregend. Ich würde mir erst ernsthafte Sorgen machen, wenn ein Computer anfängt, Fehler zu machen, und anschließend verkündet: ‚Schach? Och nö, keine Lust mehr, ist langweilig. Ich zocke jetzt mal eine Runde World of Warcraft !‘

Solange das nicht passiert, bleibt das menschliche Gehirn noch das Maß aller Dinge…“

Unsere wahre Denkpower liegt in unseren Irrtümern und Unkonzentriertheiten.

Nur so kommt unser Gehirn auf neue Ideen. Nur so können wir kreativ denken

und Kreativität ist ein Schlüssel zum Erfolg.

Viele Genies der vergangenen Jahrhunderte und viele heute lebende nutzen mentale Techniken, um neue Ideen zu entwickeln: Meditation, Tagträume, Kurzschafphasen und Bewegung!

Versuche haben gezeigt, dass Menschen während Bewegung (spazieren gehen, joggen) mehr Ideen haben als solche, die im Sitzen Nachdenken.
Als Beispiel sei der Facebook Gründer Mark Zuckerberg genannt, der auf seinen „Powerwalks“ in Aldiletten durchs Valley läuft – und seine Mitarbeiter laufen mit.

Ich will mich nicht mit Mark Zuckerberg vergleichen, aber meine besten Ideen hab ich während meiner Joggingrunden durch den Wald – oder noch besser: beim Barfußlaufen am Nordseestrand … An Pfingsten auf Amrum wollte ich mich beim morgentlichen Strandlauf bezüglich dieser Rede inspirieren lassen und die Ideen dann hinterher, gemütlich im Strandkorb, zu Papier bringen. –

das hat nicht so ganz geklappt bei Regen und Sturm und im Strandkorb war es auch nicht besonders gemütlich…

Folgendes möchte ich euch auf euren weiteren Weg mitgeben:

Ein Studium (und die meisten von euch wollen studieren) ist nicht mehr dasselbe wie zu meiner Zeit, als wir uns Zeit lassen konnten und uns eigentlich erst kurz vor dem Examen auf den Hosenboden gesetzt haben.

Heute geht es sofort los! Klausuren ohne Ende, eine Hausarbeit nach der andern, Sonntage in der Bibliothek (ab morgens um 8 – sonst gibt’s kein ruhiges Plätzchen mehr – laut meiner Tochter) sind die Regel.

Und nach der (nicht repräsentativen) Umfrage in meiner Klasse wollen ja fast alle in 10 Jahren nach abgeschlossenem Masterstudium ihren Doktor in der Tasche oder zumindest einen guten Job haben!

Einige Jahre ist es her, da war ich auf einem 10-jährigen Abitreffen und entsetzt, dass vielen der ehemals sportlichen Jungs der Bauch über den Gürtel hing. Ihre Begründung: Stress im Beruf, keine Zeit mehr für Sport.

Deshalb: Erhaltet eure Gesundheit und Kreativität. Bewegt euch!

Also liebe Abiturientinnen und Abiturienten, seid uns Sportlehrern nicht böse,

dass wir euch die letzten 3 Jahre gefühlte 5x zum Stundenlauf „gezwungen“

haben. Es waren nur 3x, im E- Jahrgang war’s noch nicht so lang. Und wenn ihr euch längerfristig darauf vorbereitet habt – und das ist der Sinn und Zweck dieses Laufs – hat sich nicht nur eure Sportnote verbessert, sondern auch eure Gehirnleistung, eure Kreativität und damit euer Abischnitt. .. und der ist bei so

vielen von euch „sehr gut“.

Zum Abschluss möchte ich euch noch ein paar Tipps geben:

Wir haben nur ein Leben! (das ist mir im August 2015 sehr bewusst geworden)

Sucht Herausforderungen, traut euch was, schaut die Welt an, stolpert und steht wieder auf, akzeptiert nicht alle Grenzen, sucht den interessanten, anstrengenden Weg. Es sind nicht die breiten Straßen, die auf die Gipfel führen!

Diese Erlebnisse werden in eurem Langzeitgedächtnis gespeichert bleiben!

Und noch ein kleiner persönlicher Wunsch: Schaut mal wieder vorbei – nicht erst beim 10-jährigen Abitreffen…

Frau Scheibe