„Sie können Glück und Erfolg fast überall finden“

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

liebe Abiturientinnen und Abiturienten,

zur heutigen Feier hat das Johanneum auch die Schüler eingeladen, die vor 50 Jahren, also 1969 erfolgreich die Abi Prüfungen bestanden haben. Da ich in den Jahren 68/69 zum Schulsprecher gewählt wurde, wurde ich von unserem Jahrgang gebeten, das gewünschte Grußwort der goldenen Abiturienten an Sie zu richten. Damals erhielt man nach erfolgreichem Engagement vom Direktor eine goldene Johanneumsnadel, die ich heute natürlich bei diesem wichtigen Anlass angesteckt habe. Gibt es diese Ehrung, Herr Dr. Janneck, auch heute noch?

Nun zu Ihnen: Was soll ich Ihnen im Namen meiner Mitschüler sagen, was bewegt Sie, die Sie meist gerade erst volljährig geworden sind, teilweise auch erst 17 Jahre alt sind.

Dr. Janneck hat eben in seiner Rede „Fridays for future“ genannt und Sie aufgefordert, sich weiterhin für den Klimaschutz einzusetzen. Er sei gespannt, mit welchem Stolz 2069 einer von Ihnen bei der Abifeier als „Goldene(r)“ erwähnt, bei den Anfängen dabei gewesen zu sein und welcher Erfolg damit nachhaltig erreicht wurde.

Für uns goldene Abiturienten kann ich sagen, wir sind stolz zu den 68ern zu gehören. Ich weiß nicht, wie weit der heutige Geschichtsunterricht in das 20. Jahrhundert vordringt, ob also die 68er Jahre besprochen wurden, die uns so prägten und Deutschland veränderten.

Das Johanneum war damals ja ein reines Jungengymnasium und auch das männliche Kollegium vergraulte die zugewiesene einzig weibliche Referendarin nach kürzester Zeit. Viele von uns nahmen nach dem Attentat auf Rudi Dutschke das erste Mal an einer Demonstration teil: Gegen die Verabschiedung der Notstandsgesetze.

Ich organisierte die erste genehmigte Schülerdemonstration in Lübeck mit einem weniger politischen Ziel: Bau einer neuen Sporthalle für das Johanneum als Ersatz für die zurzeit wieder gesperrte alte Turnhalle. Nach der damaligen Demo hat es dann wohl noch 20 Jahre gebraucht, ehe die jetzige Sporthalle eingeweiht wurde. Ich hoffe sehr, dass es mit der Instandsetzung der gesperrten Halle nicht auch wieder so lange dauert!

Nach dem Abitur – übrigens 1969 waren es nur 17 % eines Geburtenjahrgangs in Deutschland, heute sind es über 50 %, die diesen Schulabschluss vorweisen – versuchten die meisten von uns an einer Uni den Muff von 1000 Jahren unter den Talaren zu vertreiben.

Willi Brandts Antrittsrede als Bundeskanzler im Sept. 1969 mit dem Satz

„Mehr Demokratie wagen“

ermutigte uns geradezu. Wir sahen damals alle in dem Wort „wagen“ die Verheißung/die Verbesserung – als Älterer weiß ich, das „wagen“ auch Risiko/ Unsicherheit bedeutet. Lassen Sie sich dadurch aber nicht beeinflussen, sondern in Ihrem Alter müssen Sie wagen und riskieren, um zu verändern!

Die Beatles veränderten nicht nur die Musikwelt, sondern auch Kleidung und Frisuren. Einige von uns folgten dem Musikschwerpunkt des Johanneums und gründeten die Gruppe „the mysteries“ und spielen nunmehr nach über 50 Jahren immer noch zusammen unter dem Slogan authentischer Beat der 60er Jahre, vorgetragen vor Zeitzeugen! So etwas ist doch für Sie vielleicht nachahmenswert!

Seit dem Abi vor 50 Jahren hat unsere Generation sicherlich nicht alles richtig gemacht, aber vieles hat sich doch verbessert. Immerhin gibt es mit Bibiana Steinhaus schon die erste Schiedsrichterin, die in der Fußball Bundesliga Männerspiele pfeifen darf. Also auch die Gleichberechtigung der Frauen kommt voran – siehe den Frauenanteil in Ihrem Jahrgang. Glauben Sie also nicht denen, die sagen „früher war alles besser“.

Nein!

  1. B. Hunger: Der Anteil der Weltbevölkerung der unterernährt ist, betrug 1970 28 % à heute 11 %.

Kindersterblichkeit: 1900 starben ca. 40 % der Kinder vor ihrem 5. Geburtstag à heute unter 4 %.

Kinderarbeit: Anteil der 5-14jährigen Kinder, die voll arbeiten, betrug 1950  28 %, leider 2012 immer noch 10 %.

Umwelt: 1970 wurden 38 kg Co² pro Person in die Atmosphäre gebracht, 2010  11 kg, was immer noch viel zu viel ist.

Aber nun genug von der Rückschau, gucken wir nach vorne und erfreuen wir uns des heutigen Tages. Sie haben Ihr Ziel erreicht und Ihr Abiturzeugnis in wenigen Minuten in den Händen. Einigen von Ihnen ist der Weg bis hierher leicht gefallen, andere mussten kämpfen.

Bei allen gleichermaßen dürfte ein Dank an die, die oft mit ihnen gebangt haben, Sie sicherlich immer unterstützt haben, am heutigen Tag doch ausgeprägt sein: Der Dank an die Eltern.

Wie geht es weiter? Dank Internationalisierung und Globalisierung steht Ihnen die Welt heutzutage wirklich offen. Aber wie lange noch? Durch diese Entwicklung ist die Welt nicht perfekt geworden, aber vieles – wie ich oben ausführte – hat sich verbessert. Dank Populisten will nun aber jede Nation „first“ sein und Europa, dessen Freizügigkeit alle von uns gerne nutzen, droht auseinander zu fallen. Setzen Sie sich bitte dafür ein, dass dies nicht passiert und Europa weiterhin in dieser Welt einen wichtigen und hoffentlich positiven Einfluss nehmen kann.

Das schwierige Thema Berufswahl hat Sie sicherlich in letzter Zeit sehr beschäftigt. Einige von Ihnen haben sich vielleicht für eine betriebliche Ausbildung, andere für ein Studienfach entschieden. Wieder andere möchten sich in einem sozialen Jahr für unsere Gesellschaft engagieren und einige streben evtl. „work and travel“ auf der anderen Seite unseres Globus an. Sie können Glück und Erfolg fast überall finden und das heute überreichte Abiturzeugnis ist eine gute Voraussetzung dafür.

Für den beruflichen Erfolg ist – würde ich sagen – Freude und Leidenschaft für eine Tätigkeit eine wichtige Komponente.

Die Start-up-Szene wird heute von jedem beobachtet und kann bei ihnen durch die offene und transparente Entwicklungskultur zu viel Spaß und Zufriedenheit führen. Diese Szene mit den Schwerpunkten in Berlin und Hamburg soll nun mit einem Accelerator auch an der Fachhochschule in Lübeck gefördert werden.

Als selbstständiger Familienunternehmer bitte ich Sie, bei ihrer Berufswahl auch die selbstständige Tätigkeit nicht auszuschließen. 80 % der Betriebe in Deutschland sind inhabergeführt und stellen weit über 50 % der Arbeitsplätze. Bei vielen Betrieben steht aber weder im Betrieb noch in der Familie ein geeigneter Nachfolger/Nachfolgerin bereit.

Hier fähige Personen aus Ihren Reihen zu finden, wird in den nächsten 10 bis 20 Jahren auch Aufgabe der Industrie- und Handelskammer bez. der Handwerkskammern sein.

Mit dem heutigen Tage haben Sie die besten Voraussetzungen zu einem selbstbestimmten, erfolgreichen und zufriedenen Leben. Nutzen Sie Ihre Chancen. Dazu wünschen wir goldenen Abiturienten Ihnen viel Glück.

Aber was ist Glück? Der Athener Perikles sagt:

„Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit.

Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.“

Lassen sie den Mut also nicht sinken und dann wird hoffentlich das Glück an ihrer Seite sein.

Feiern Sie heute Abend gebührend, seien Sie dabei vielleicht nicht zu cool, sondern mal zu jedermann ganz lieb. Viel Spaß dabei!

Holger Strait