Du bist doch nicht ganz Dicht(er)!

Bananenwitze über „Ossis“ sind fast so alt wie die Erstausgabe der „Titanic“ und trotzdem lösen sie immer noch viel Freude aus, ebenso wie der ehemalige Chefredakteur des Satire Magazins Thomas Gsella, der dem Johanneum am Donnerstag einen kurzen Besuch abstattete. Es wurde ein interessantes Gespräch über humoristische Literatur und das Leben eines freischaffenden Künstlers, freundlich gesponsort vom Förderverein, dem wir dafür herzlich danken.

Gsellas Würze steckt in der Kürze. Er ist bekannt für seine kurzen Gedichte und Verse, mit denen er die Welt ausschellt. Durch kleine, aber gemeine Reime nimmt er die Menschen und die Politik auf die Schippe. Dass der Humor manchmal auf der Kippe zum Komischen steht, ist gewollt und geht unschwer mit dem Konzept des Satire Magazins „Titanic“ einher.

Als Mitgründer dieser Zeitschrift kennt er sich aus, mit provokanten Titeln und vor allem der politisch inkorrekten Art, welche aus den Tabus der Gesellschaft witzige Beißerchen macht, die sich in den Nacken der Leser:innen krallen und nicht mehr loslassen.

Politisch immer ein wenig über das Ziel hinaus. Gsella meint, wenn es zu doll ist, ist es gut. Jedenfalls in dem Bereich, in dem sich der Sprachakrobat aufhält. Dafür wird auch gelacht. Ein paar Schüler:innen waren manchmal etwas über die Aussagen und Anspielungen bestürzt. Beispielsweise hat das Schmähgedicht über Melania und Invanka Trump, in dem die beiden als etwas schickere Konservendosen bezeichnet werden, ein Runzeln auf der Stirn hinterlassen. „Findet ihr das nicht frauenfeindlich?“, fragt Gsella. Doch. Natürlich. Das Publikum bleibt stumm. „Schade, keiner?“  Naja, melden tut sich jedenfalls niemand. Oftmals ist man auf eine direkte Konfrontation gar nicht vorbereitet und findet sich in einem Spagat zwischen „Darf er das?“ und „Ja, ist witzig“, wieder. Aber genau mit dieser Art von Doppelbödigkeit werden die Leser aufgefordert mitzudenken und die Kritik hinter der Satire zu erkennen. Thomas Gsella liebt das Spiel mit dem Publikum. Die meist ebenfalls pikanten Leserbriefe erfreuen ihn besonders. In seinen Gedichten lässt er nicht viel aus. Auch die Lehrer bekommen einen Kommentar ab.

Der Lehrer geht um sieben raus

Und ruft vier Stunden: „Leiser!“

Um kurz nach eins ist er zuhaus:

Nicht ärmer, aber heiser.

Bei all der Provokation gibt es aber auch ein Limit. Über Opfer wird keine Satire gemacht. Flugzeugabstürze oder ähnliches Grauen wird von den Satirikern in Ruhe gelassen. Wenn Satire nur noch auf die Schlagzeile aus ist und nicht mehr der Komik dient, sollte man sich etwas Neues überlegen.

Ein paar nette Worte über die eigene Heimat sind allerdings erlaubt, und als Gsella die Schüler:innen auffordert, selbst ein paar Zeilen über das schöne Lübeck, seine alternden Einwohner:innen und die Epidemie von Friseur-Salons und Touristen zu dichten, werden wahre Meisterwerke zusammengereimt.

Lübecker Freitag

Lübeck, die Stadt des Marzipans,

ist auch voller Touristen.

Die laufen freitags ohne Plan

in die Arme der Aktivisten.

 

Pass auf, wen du hier Arschloch nennst,

unsre Stadt ist im Herzen ganz klein,

und weil du sowieso jeden kennst,

könnt’s auch dein Nachbar sein.

 

Grün ist in der Innenstadt nicht so oft gesehn,

deshalb bleiben Lübecker vor grünen Ampeln stehn.

 

Schleswig Holstein

In Lübeck kommt, ach nein wie dumm,
man ja auch ohne S-Bahn rum.
Das Geld dafür, und ziemlich viel,
das liegt in unserer Hauptstadt Kiel.
Da kommt man dann, ach nein wie dumm,
statt mit dem Fahrrad, in der S-Bahn um.

Söder auf Blöder zu reimen und das zweimal die Woche, um ein ausreichendes Gehalt zu beziehen. So sieht das freiberufliche Künstlerleben häufig nicht aus. Nur einer von zehn Schreibern, schätzt der Satire Dichter, könnte auch von seiner Kunst leben. Trotzdem rät er uns zu einem künstlerischen Beruf. Für ihn habe es sich gelohnt. Außer wenn er jetzt als neuen Auftrag eine 16-strophige Ballade über den Brexit verfassen muss. Darauf hätte er nicht so Lust. Doch falls er mal in einer kreativen Durststrecke stecken sollte, kann er sich ja an die Nachwuchsdichter unter uns wenden. Die Fünf-Minuten-Gedichte waren auf jeden Fall ein Highlight des Vortrags und haben scheinbar auch Gsella schwer beeindruckt.

Text: Clara Ipsen, Q2c

Gedichte: Spontane Sprachkünstler:innen

Fotos: Sabeth Sandkühler-Jensen

Dass der Besuch von Thomas Gsella auch für ihn vergnüglich war, zeigt die Post, die er im Nachklapp schickte:

„Meine Freude über die Lesung hört immer noch nicht auf, hoffentlich wird das chronisch. Welch aufmerksame, helle, lachbereite und informierte Schüler Sie haben! Ich danke Ihnen also nochmals gern für die Einladung . Und wer weiߟ, vielleicht darf ich ja noch mal wiederkommen.“