Von der kleinen Hexe zur guten Oper

In ihrer Rede für das Musikprofil des Abijahrgangs 2020 blickte Frau Salomon auf die Entwicklung in acht randvollen Jahren zurück.

„Life is what happens to you while you’re busy making other plans.“

Früh haben wir damit angefangen, die Abientlassung zu planen, welche Stücke, welche Formationen. Und nun?  Corona wirbelt alles durcheinander und wir dürfen nicht einmal mehr darüber nachdenken, ob wir „I am sailing“, was die einen lieben, die anderen nicht mögen, singen wollen oder nicht. Wobei: Summen können wir es. …

Das Virus wirbelt alles durcheinander, ihr seid zweieinhalb Wochen früher unterrichtsbefreit gewesen als geplant und die Termine, wann überhaupt geschrieben werden soll, änderten sich häufiger. Wie jede diese Zeit für sich bewertet? Klagen wir „Das sollte der Sommer meines Lebens werden!“ „Meine Pläne lassen sich in der Pandemie gar nicht umsetzen!“ oder wenden wir Reframing an, erweitern unsere Perspektive und sehen in dieser Zeit Chancen, die uns ansonsten verborgen geblieben wären? Ich habe von euch erfahren, dass die eine Yoga angefangen hat, von einer anderen habe ich ein schönes selbstgemaltes Bild geschenkt bekommen. Die eine nutzte die Zeit, um die Oberstufe Revue passieren zu lassen und sich an unsere gemeinsamen Fahrten und Projekte zu erinnern, der andere hat die Zeit ohne zusätzlichen Freizeitstress einfach nur genossen.

Die Corona-Zeit trieb anderswo noch ganz andere merkwürdige Blüten. In den USA groß rausgekommen ist eine neue Sportart: Murmelrennen. Viele bunte Glasmurmeln rollen eine Rampe herunter, tauchen in Wasser ein, schieben Klötze vor sich her. Aufgeregt beschreibt der Kommentator das Geschehen wie bei einem Fußballspiel. Als Sinnbild für neue Ideen schenke ich jede/r von Euch heute eine Murmel, als Handschmeichler, als Erinnerung, oder einfach, weil sie schön bunt sind. Sie liegen dort beim Ausgang.

Ebenso der Corona-Online-Zeit geschuldet ist unser Briefwechsel. Über Eure vielen bunten Snailmail-Briefe habe ich mich sehr gefreut und fand es so schön, Eure Gedanken und liebevollen Worte auf diese Weise zu lesen.

Und ich weiß nicht, ob es der Coronazeit geschuldet ist oder der hervorragenden Planung der Abizeitungs-Redaktion, dass das Werk bereits vor der Abientlassung vorlag und ich nun eine brandaktuelle Quelle habe, aus der ich zitieren kann.

Ich erfahre darin, was ihr als Kinder werden wolltet: Astronaut, Pilotin, Sänger, Prinzessin, Pirat, Baggerfahrerin, Sportlerin, oder gleich noch ambitionierter Olympiasiegerin.

Jetzt scharrt ihr mit den Hufen, habt die Hochschulreife erlangt und euch stehen viele Möglichkeiten offen. Was kommt? Was sind eure Träume, eure Erwartungen heute? Ihr wurdet im Vorfeld gefragt, wo ihr euch in 5, 10 oder gar 20 Jahren seht. Die meisten haben geantwortet: Studium – Beruf  – Familie mit Eigenheim.

Was ist zwischendurch passiert? Wo sind die Piratinnen, die Astronauten? Welche Bedeutung haben die acht Jahre Johanneum für euch gehabt?

Willkommen geheißen wurdet ihr am 7. August 2012 in dieser Aula mit einer Rede von Frau Skaide, die von der Kleinen Hexe erzählte, die den Unterricht Eurer ersten Klassenlehrer:innen Herr Anneken (die a), Frau Böttger (die b), Frau Christiansen (die c) und Frau Küchenmeister (die d) völlig durcheinander wirbelte. Und sie bereitete Euch auf „verkehrte Schulwelt-Situationen“ vor, falls Euch mal etwas seltsam vorkommen sollte. Vielleicht erinnert Ihr Euch an das kaputte Mikrophon, welches bei der Rede schnarrte, sodass man den Eindruck hatte, die Kleine Hexe triebe bereits an diesem Tag ihr Unwesen.

Rosen bekamt Ihr an dem Tag von den damaligen Abiturient:innen, so wie Ihr am Anfang diesen Schuljahres den jetzigen Sextaner:innen die Rosen gabt. Wieder kann man Corona etwas Gutes abgewinnen: Ihr wurdet hier willkommen geheißen und nun werdet ihr auch hier – und nicht im Kolosseum – verabschiedet. Eine Bogenform, die mich nicht nur als Musikerin, respektive Brahmsianerin freut.

Was ist danach passiert, mit den Prinzessinnen, Sängern und kleinen Hexen? Antworten auch darauf finde ich wieder in der Abizeitung:

Schule war…      … Unterhaltung auf hohem Niveau

… eine Tortur

… cool und nervig

… Pflicht

… ehrlich gesagt echt hammermäßig toll

… durchaus entspannt

… belastend

oder wie Charlotte es ausdrückte:  wie eine gute Oper: Es wird sehr schön gesungen, hin und wieder stirbt jemand, ein Teil des Publikums schläft zwischendurch ein, die Pause ist zu kurz und der Rest ist langatmig, am Ende gibt es Buhs, Bravos und es wird viel geklatscht. Trotzdem freuen sich alle, da gewesen zu sein.

Die Schule hat euch viel abverlangt. Das konnte ich gerade beim mündlichen Abitur wieder erfahren, wo es genauso um Bismarck, wie auch um ethische Fragen, um Fly-Sein – Jugendsprache und ja: ich fühlte mich plötzlich sehr alt – und um cis ging – womit allerdings nicht ein Ton, sondern irgendetwas Chemisches, was sich mir nie erschließen wird, gemeint war. Bei manchen Prüfungen ging es um aktuelle Themen, die ihr durch Kenntnis unterschiedlicher Theorien fundiert diskutieren und dazu Stellung nehmen solltet, z.B. zur Organtransplantation. Ein Argument für die Widerspruchslösung wurde genannt, nämlich, dass viele Leute ja zu faul seien, sich einen Ausweis zu besorgen und deswegen wäre der andere Weg besser. Nun, dem kann ich Abhilfe schaffen. Ich habe euch Organspendeausweise in Form von Checkkarten besorgt, die meiner Meinung nach wie das Abitur und eine Bahncard zur Grundausstattung gehören. Diese könnt ihr gleich heute mitnehmen und ausfüllen, falls ihr noch keinen habt.

Doch zurück: Wo sind die Prinzen und Olympiasiegerinnen geblieben? Die Frage, wo ihr Euch in 20 Jahren seht, interessiert mich gar nicht so sehr, denn sie leitet über zu Bausparverträgen. Viel spannender finde ich die Zeit bis dahin. Vor euch steht ein neuer Abschnitt, für den ihr den Spirit der Piratin und des Astronauten in euch wieder herauslocken könnt. Denn: „Life is what happens to you while you’re busy making other plans.“

Nun ein Wort an Euch Eltern (ich benutze mal das solidarische Du): Gratulation auch Euch! Je nach Anzahl der verbliebenen Kinder zu Hause beginnt ein neuer Lebensabschnitt und ihr werdet Euch um die Therapieplätze schlagen müssen.

Das letzte Kind hat Fell.

Bei mir sind es Meerschweinchen.

Und jetzt, um Lotta zu zitieren:

„Life is too short to wait!“ Auf geht’s!