Arielle, die schwarze Meerjungfrau, und warum mediale Repräsentation wichtig ist

Im Juli 2019 wurde angekündigt, dass die Rolle der Arielle in der Live-Action-Verfilmung von „Arielle, die Meerjungfrau“ von der 22 Jahre alten Sängerin und Schauspielerin Halle Bailey gespielt werden würde. Diese Bekanntgabe verursachte einen Aufruhr auf den sozialen Netzwerken. Twitternutzer:innen machten mit dem Hashtag #NotMyAriel deutlich, dass sie mit dieser Entscheidung alles andere als zufrieden waren. Warum? Ist Halle eine schlechte Schauspielerin? Vertritt sie moralisch verwerfliche Werte und wurde deshalb „gecanceled“?
Nein. Der Grund ist: Halle Bailey ist Afroamerikanerin. „Arielle kann nicht schwarz sein“,
lautete die Argumentation. „Sie war immer weiß und deshalb muss sie dies auch bleiben. Wie würdet ihr es finden, wenn wir Pocahontas auf einmal weiß und blond machen würden?“. Die Diskussion war hitzig. Und um hier kurz mit einzusteigen: es gibt einen signifikanten Unterschied zwischen Arielle und Pocahontas. Bei Pocahontas ist die ethnische Abstammung ein nicht weg zu denkender Bestandteil des Charakters, ohne den die gesamte Geschichte gar keinen Sinn ergeben würde. Bei Arielle ist die Hautfarbe irrelevant für die Geschehnisse.
Ich bin schwarz. Mixed Race, um genau zu sein. Das bedeutet in meinem Fall, ich habe ein schwarzes und ein weißes Elternteil. Ich habe Milchkaffee-braune Haut und Afrolocken. Als Kind habe ich unglaublich gern gelesen. Romane wie Cornelia Funkes „Die Wilden Hühner“- Reihe haben hunderte Stunden meiner Kindheit geprägt. Genauso sehr habe ich es geliebt, Fernsehen zu gucken. „Kim Possible“ ebenso wie „die Pfefferkörner“ haben mich allzu oft in den Bann gezogen. Diese fiktiven Charaktere haben mich meine Kindheit über begleitet. Und eines haben sie alle gemeinsam: Keine:r meiner Kindheitsheldinnen und -helden sah aus wie ich. Als Kind habe ich mir (wie wohl die meisten Kinder) nicht viel Gedanken um Hautfarben oder ethnische Zugehörigkeit gemacht. Aber mir ist immer aufgefallen, dass ich irgendwie anders war. Oft wurde ich durch Kommentare von Erwachsenen ebenso wie von Kindern daran erinnert. Das hat mich oft aus für einen kurzen Augenblick aus meiner kleinen unscheinbaren Kinderwelt rausgeholt und mich nicht selten verwirrt oder mich traurig gemacht. Wie schön wäre es damals gewesen, eine Identifikationsfigur aus meinem Lieblingsfilm oder -buch zu haben.
Als junge Erwachsene fing ich irgendwann an, Romane von schwarzen Autor:innen zu lesen. Hier waren die Hauptfiguren schwarz, sie gingen genau wie ich in den Afroshop, um sich die Haare zu Braids flechten zu lassen, wurden genau wie ich im Alltag mit rassistischen Mikroaggressionen konfrontiert und genau wie mein Vater sprachen ihre Eltern oft mit Akzent. Ich las spannende Abenteuer, dramatische Lovestories oder witzige Geschichten über Leute, mit denen ich mich identifizieren konnte. Und es tat so gut. Es war so erfrischend. Mein inneres Kind hatte beim Lesen regelmäßig Freudentränen in den Augen.
Wenn du eine weiße Person bist, die diesen Text hier gerade liest, möchte ich dich einladen, dir einmal vorzustellen, nahezu alle Personen in den Medien, die du im Alltag bewusst oder unbewusst konsumierst, wären People of Color (PoC), also nicht weiße Menschen. Überall um dich herum. Auf den Werbeplakaten, in den Zeitschriften, in den Büchern, Kinofilmen, Netflix- Serien und Talkshows. Sei ehrlich, es wäre schon seltsam, oder? Nun, das ist größtenteils Normalität für People of Color. Vielleicht denkst du dir jetzt, naja, wir leben nun einmal in Deutschland. Hier sind eben die meisten Menschen weiß. Ja, das stimmt. Das erkenne ich natürlich an. (Keine Sorge, niemand hat vor, das Gedankenexperiment von gerade eben in die Realität umzusetzen.) Aber es sind eben nur die meisten. Viele von uns sind es nicht. Und wir sind genauso deutsch und möchten genauso den Fernseher anmachen oder ins Kino gehen und uns selbst auf dem Bildschirm oder der Leinwand sehen. Und das am besten nicht nur in Form der gebrochen Deutsch sprechenden Putzfrau im Tatort oder dem kriminellen Drogendealer aus dem Ghetto auf Netflix. Mein 10-jähriges Ich hätte sich unfassbar über eine Arielle mit brauner Haut gefreut. Mir wäre bei ihrem Anblick warm ums Herz geworden.
Wahrscheinlich hätte ich nicht sagen können, was mich so fasziniert. Aber ich hätte gewusst: Diese Meerjungfrau ist besonders. Sie ist irgendwie wie ich.

Luna Simao, Sängerin und Patin des Johanneums für „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“