Gleich berechtigt?

Brauchen wir Feminismus noch? Es gibt doch keinen Sexismus mehr, oder? Ich meine, wir dürfen wählen, arbeiten, unsere Partner:innen selbst bestimmen und hatten mit Angela Merkel sogar eine weibliche Bundeskanzlerin. Was will man denn mehr? Ist Feminismus heutzutage nur noch eine billige Entschuldigung für Männerhass?

Mit diesen Fragen möchte ich mich heute zum Weltfrauentag beschäftigen. (Im folgenden Artikel befasse ich mich nur mit der Situation in Deutschland. Trotzdem möchte ich erwähnen, dass das Thema Sexismus weltweit eine Rolle spielt und die Lage von Frauen, zum Beispiel im Iran, noch weitaus problematischer ist und wir uns unseres Privilegs bewusst sein müssen.)

Noch einmal zur Erinnerung: Sexismus meint alle Formen der Unterdrückung und Benachteiligung aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit einer Person, Feminismus eine Ideologie und gesellschaftliche Bewegung, die Gleichberechtigung der Frau in allen Lebensbereichen und eine Veränderung der gesellschaftlichen Rolle von Frauen anstrebt. Mittlerweile distanzieren sich viele Frauen von dem Begriff des Feminismus, da er durch extremistische Einzelfälle häufig negativ belastet ist. Eine Feministin zu sein, heißt jedoch keineswegs, Männer zu hassen. Noch im letzten Jahr kamen einige Jungen auf mich zu, die mich fragten, ob es nicht auch sexistisch sei, dass wir keinen Weltmännertag haben. Falls diese Frage euch immer noch beschäftigt, hoffe ich, es wird nun endlich klar: Auch Männer leiden unter sexistischen Stereotypen und Rollenbildern und vom Kampf gegen den Sexismus profitieren wir alle, jedoch wurden Männer in unserer Gesellschaft nie strukturell benachteiligt und diskriminiert, zumindest nicht, weil sie Männer sind. Das Ganze ist kein Wettkampf. Es geht nicht darum, wer am meisten leidet, sondern darum, wie wir dieses Leid beenden können. Und sich selbst in die Opferrolle zu bewegen und zu argumentieren, Frauen hatten den Vortritt zu den Rettungsbooten auf der Titanic, scheint für mich nicht wirklich zielführend.

Die Bewegung des Feminismus hat bereits fraglos große Fortschritte erzielt. Es ist nur etwas mehr als 100 Jahre her, dass Frauen nicht einmal wählen durften. Erst seit 1949 ist in unserem Grundgesetz (Art. 2, Abs. 2, Satz 1) festgehalten, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Ob das zutrifft, ist leider eine andere Frage. Sexismus hört nicht bei Lehrer:innen auf, die nach „starken Jungen zum Stühle tragen“ fragen. Obwohl mittlerweile im Schnitt genauso viele Frauen wie Männer einen Universitätsabschluss schaffen, sind es immer noch weniger Frauen in Führungspositionen. Die Frauenquote in den Vorständen der größten deutschen Aktiengesellschaften beispielsweise liegt nicht einmal bei 16%. Es existiert noch immer der Gender Pay Gap, der dafür sorgt, dass Frauen weniger verdienen. Nicht nur, weil Berufe, in denen vor allem Frauen arbeiten, häufig schlechter bezahlt werden, der größte Teil der unbezahlten Hausarbeit von Frauen geleistet wird oder sie häufiger wegen Kindern zuhause bleiben – auch in derselben Arbeitsposition kommt es noch zu Ungleichheiten in der Bezahlung. Dazu kommt, dass jede dritte Frau in Deutschland von körperlicher oder sexueller Gewalt betroffen ist. Jede vierte hat mindestens einmal körperliche oder sexuelle Gewalt von ihrem Partner erlebt. Die Angst vor sexuellen Übergriffen kennt wahrscheinlich jede weiblich gelesene Person. Mir stellt sich die Frage, wie ich mich gleichberechtigt fühlen soll, wenn ich mich unsicher fühlen muss, weil ich im Dunkeln draußen bin (ganz unabhängig von meinem Outfit im Übrigen). Ich muss gar nicht so weit gehen, über Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel zu reden (von denen im Jahr 2016 95% weiblich waren). Es reicht aus, TikTok zu öffnen und mir die Kommentare durchzulesen, in denen es ganz normal ist, dass Frauen sexualisiert und aufgrund ihres Geschlechts beleidigt werden.

Ich könnte noch einige Seiten mehr mit Beispielen füllen und müsste dafür nichtmal sorgfältig recherchieren, da meine eigenen Erfahrungen genügen. Was mir aber viel wichtiger ist, ist dazu aufzurufen, aufzuhören Diskriminierung zu leugnen, nur weil ihr sie aus eurer Perspektive nicht wahrnehmen könnt. Und dazu, laut zu werden, wenn euch Missstände auffallen. Durch Aufklärung, Hinterfragen, Kritisieren und Umdenken können wir an Gleichberechtigung arbeiten.

Und damit einen fröhlichen Weltfrauentag!

Helena Stöter, Ef, für die Anti-Diskriminierungs-AG