Unzählige Nuancen

lassen sich aus dem Text eines bekannten Bildes von Roy Lichtenstein heraushören. Eine Frau mit roten Haaren und einer tiefen Falte in der Stirn antwortet am Telefon „Ohhh… alright…“. Welche Geschichten stecken dahinter? Die Q2 (eA Chr) hat im Deutschunterricht packende und verblüffende Kurzgeschichten geschrieben. Viel Freude bei der Lektüre!

Sie war schon immer wenig überzeugt von ihrer Jobwahl gewesen, aber irgendetwas hielt sie hier, hielt sie fest. Auch heute. Die Anweisungen waren diesmal noch unklarer gewesen, als sie das ohnehin schon immer waren, doch hatten dazu geführt, dass sie jetzt, am Donnerstagabend in einem ihr unbekannten Wohnzimmer stand und sich zufrieden das Blut von den Händen wischte. Irgendwann im Laufe der Zeit hatte sie die Skrupel abgelegt – nie ganz, aber immer mehr.

Das Wohnzimmer sah eigentlich ganz süß aus; normalerweise ließ sie sich nicht so sehr dazu verleiten, sich die Umgebung zu sehr anzugucken, aber dieses Haus schien anders als die, in denen sie sonst war. Da waren Fotos an den Wänden von Kindern und Ausflügen, da standen Bücher auf den Regalen, die sie selber gern lesen würde. Obwohl sie gerade dafür gesorgt hatte, dass er diese Bücher niemals wieder in der Hand haben würde, empfand sie kaum Reue – eher eine gewisse, entfernte Art von Enttäuschung. Der Schein schien wie immer zu trügen.

Sie strich noch einmal mit ihrer linken, unbefleckten Hand über die Bücherrücken, bevor sie zurück ins Bad ging, da lag er, sein Blut hob sich stark von den polierten Keramikfliesen ab.

Es sah fast aus wie ein gestelltes Kunstwerk, bemerkte sie belustigt und gähnte dann. Es wurde spät, und sie wartete immer noch auf ihren Anruf.

Ihre Klamotten, die verstreut auf dem Flur verteilt lagen, stopfte sie in ihren Rucksack. Sie trug immer noch nur das schwarze, dünne Kleid – und warf einen Blick in den Badezimmerspiegel. Ihre Haare hatte sie für diesen Termin rot färben müssen und sie vermisste ihr eigentliches blond schmerzlich.

Ihr Telefon klingelte, ein unverhältnismäßig lautes Geräusch in dem ansonsten so stillen Haus. Sie hockte sich neben den Toten, strich abwesend seine verklebten Haare aus seiner Stirn, bemerkte distanziert, dass sein Körper langsam an Wärme verlor, und ging ran. „Ja?“ Ein Rascheln am anderen Ende, dann „Hey, bist du noch da? Sorry, falsche Adresse hatte ich dir gegeben. Ein Haus weiter links, ja?“

Sie schwieg, unterdrückte den plötzlichen irren Drang, der in ihr aufstieg, laut aufzulachen. „Ohhh. Alles klar“, brachte sie heraus.

„…Du warst schon da, oder? Shit“.

Sie antwortete nicht, es war eh überflüssig. Unschuldiges Blut an ihren Händen, das hatte sie noch nicht gehabt.

Ein Schwindel setzte hinter ihren Schläfen ein und sie betrachtete das Gesicht des Toten, welches bleich aussah, und betrachtete auch ihre Hände, die eigentlich sauber gewaschen waren. Es fühlte sich plötzlich doch wieder so an, als würde Blut an ihnen kleben. Verwundert bemerkte sie abwesend, dass sie das Telefon fest umklammerte, und anfing zu zittern. Die weißen Fliesen unter ihr schienen sich merkwürdigerweise zu bewegen, der Boden unter ihren Füßen fühlte sich nicht mehr tragfähig an.

Die Stimme am anderen Ende schien etwas zu ihr zu sagen, etwas, was sie nicht mehr hörte, nicht mehr wirklich. Sie stand auf, taumelte fast ein bisschen, dann ließ sie das Haus hinter sich.

Lena Schadeberg

Was kann man noch glauben?

Liss und Jeff kannten sich schon eine Weile. Sie lernten sich in einem Eiscafé kennen. Dort stand Liss vor Jeff in der Reihe und sie besorgte sich ein Eis. Als sie jedoch wieder aus dem Eiscafé hinauslief, fiel ihr eine Eiskugel aus der Waffel. Dies sah Jeff und er spendierte ihr eine neue Kugel. So kam eins zum anderen und sie verwickelten sich in ein tiefgründiges Gespräch.
Die Dinge nahmen ihren Lauf und so sahen sich die beiden immer regelmäßiger. Sie trafen sich etwa beispielsweise im Park oder gingen zusammen essen. Es ging sogar so weit, dass sich Liss Jeffs Eltern vorstellte und Jeff sich Liss Eltern. Die Zeit ging ins Land und die Beziehung verfestigte sich.
Irgendwann machte Jeff mal den Vorschlag, ob er und sie denn nicht mal zusammen verreisen wollten? Liss war von dem Gedanken ganz angetan und sie äußerte den Wunsch, dass sie unbedingt mal nach Paris wollte. Jeff war ebenfalls noch nie in Paris gewesen, und so einigten sie sich, dass sie eine Reise nach Paris antreten würden.
An einem Abend trafen sich die beiden bei Jeff in der Wohnung zum Essen. Als Liss die Toilette aufsuchte und an Jeffs Schlafzimmer vorbeikam, entdeckte sie dort im Vorbeigehen eine kleine Box. Liss dachte sofort, dass es das ist, woran sie denkt. Sie war so neugierig, dass sie diese Box öffnete und wie zu ihren Erwartungen war ein Ring in dieser kleinen Box. Liss legte anschließend schnell die Box wieder zurück, doch in den folgenden Tagen malte sie sich die buntesten Szenarien aus, wie Jeff ihr in Paris einen Antrag machen würde. So packte sie schon mal ihre Sachen.
Doch am Tag darauf saß Liss im Büro und draußen stand auf einmal Jeff. Er blieb vor der Fensterscheibe stehen und Liss hat ihm gewunken, doch er sah sie nicht. Liss wollte zu ihm gehen, aber kurz darauf erschien eine andere Frau vor der Fensterscheibe. Jeff nahm sie in den Arm und ging mit ihr weiter. Liss aber verstand die Welt nicht mehr.
Nach der Arbeit ging Liss sofort zu Jeff nach Hause, doch es war keiner da. Liss ging darauf wieder zu sich nach Hause und versuchte Am Abend Jeff anzurufen, doch es nahm keiner ab. Für Liss war aber die Situation ungewiss, zumal Jeff und sie in zwei Tagen nach Paris wollten.
Doch plötzlich kam ein Anruf rein. Liss war voller Vorfreude und nahm rasch den Hörer ab. Mit einer erwartungsvollen und enthusiastischen Stimme nahm sie das Telefon ab, in der Hoffnung es sei Jeff. Doch am Telefon erklang eine weibliche Stimme. Die Frau erzählte, sie sei Jeffs Schwester und Jeff sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Liss war unter Schock, so dass sie lediglich antwortete: „Ohhh, Alright“ und den Rest des Telefonats gar nicht richtig mitbekommen hatte. Sie legte schließlich auf.
Liss aber fiel ein, dass Jeff mal erzählte, dass er gar keine Geschwister habe. Sie wusste nicht mehr, was sie noch glauben konnte. War alles nur vorgespielt? War die Frau am Telefon, die Frau die Jeff vorhin umarmte und waren alle Gefühle vorgespielt? War der Ring die ganze Zeit für wen anders geeignet? Fragen über Fragen.

Tom Hollweg

„I have been given it on the condition that I do not pass it on. It’s not like any map I have ever seen before […] The
Plan of the above ground city is traced carefully in pale silver gray ink. […] The maps real content — the
topography it inks in black and blue and orange and red […] this invisible city […] it’s tunneled streets often kink and
wriggle […] Coming off some of the tunnels are chambers, irregular in their outlines and with dozens of small
connecting rooms.“
Das ist alles, was ich auf der New York Times meines Sitznachbars lesen konnte, mein Englisch ist noch schlechter
als mein Französisch, aber es interessierte mich auch eigentlich nicht. Ich wandte meinen Blick wieder auf mein
Espresso und ließ den letzten Schluck an meinen Lippen vorbeilaufen. Der bittere Geschmack breitete sich in
meinem Mund aus.
Das Metall lag fest in meiner Hand, als ich den langen Schlüssel im Schloss umdrehte. Mit einem Quietschen
öffnete sich die Tür und ich stemmte mein Körper entgegen des Gewichtes. Mit einem Rasseln fiel sie in ihren
gewohnten Platz zurück.
Ich tastete an meiner Hose entlang und vergrub meine Hand in meiner Hosentasche, um die letzte zerknickte
Zigarette in meiner flachen Hand zu betrachten.
Ein Scheppern dröhnte aus dem Nebenzimmer.
Die Wände waren nicht besonders dick. Das war nicht das erste Mal, dass störende Geräusche aus dem Zimmer
rechts von meinem kamen. Bald sollte auch das Schreien eintreten.
Da war’s. Ich lehnte meinen Kopf an die Wand. Es waren hauptsächlich die Schreie eines Mannes, ab und zu war
auch die Stimme einer Frau zu hören. Vielleicht kann ich auf dem Balkon mehr verstehen. Meine Hand griff erneut
nach der knitterigen Kippe. Noch bevor das Feuer meiner Streichhölzer meine Zigarette entflammen konnte, hatte
ich bereits den Geschmack auf meiner Zunge. Ich hob den Kopf.
Ihre mit Streifen versehene schwarze Strumpfhose ließ meinen Blick zu ihrem karierten knielangem Rock fließen.
Ihre Beine lagen übereinander und ineinander verschlungen. Ihr schlichtes, schwarzes, langärmliges Shirt dekorierte
sich mit silbernen Knöpfen links und rechts ihres Dekolletés. Um ihre Handgelenke klimperten haufenweise
silberne Armreifen, während sie sich ihren dunklen Lippenstift auftrug. In der gleichen Hand glühte eine Zigarette. Ihr Gesicht umrahmten ein paar Federn, die ich nicht zuordnen konnte, das feuerrote Haar wellte sich bis kurz über ihre Schultern und ließ ihre schwarz umrahmten Augen gefährlich glitzern. Sie wirkte unantastbar, aber trotzdem nicht befremdlich.
Sie saß genau einen Balkon weiter, ihren Blick abwechselnd in die Ferne oder auf den kleinen Spiegel in ihrer Hand
gerichtet. Ich zündete mir auch eine Zigarette. Konzentriert nahm ich die Züge in meinen Körper auf. Ich drückte die Zigarette aus und schloss die Tür hinter mir. Ich vergaß, die schöne Frau nach dem Lärm zu fragen.
Ich war weit vom Pariser Zentrum entfernt. Das Hostel war ein abgelegener Ort. Der weiß abgeblätterte Zaun hatte
seine besten Tage bereits hinter sich und schwang im Rhythmus des Windes. Das Frühstück wurde auf einer von Bäumen umrankten Terrasse serviert. Mein Blick fiel auf ein verlassenes Gebäude nebenbei. Diese Nacht konnte ich nicht gut schlafen.
Mit einem lauten Knall fiel ein Koffer neben mir auf den Boden. Hektisch schwang ich meinen Kopf in die Richtung,
als ein schreiendes Kind an mir vorbeilief und ich stolperte.
Ich fing mich und hob meinen Kopf. Die feuerroten Haare brausten an mir vorbei. Ich konnte ihre Strumpfhose
erkennen.
Die Kinder waren mittlerweile versammelt und ich nahm meine Beine in die Hand. Gleis 8. Gleis 9?
Aus meiner Tasche kramte ich meinen Zettel hervor, der Wind riss ihn mir aus der Hand.
Ein paar Meter weiter und ich beugte mich erneut.
Der Zettel war klamm. Der Boden war mit einer Schicht Wasser bedeckt. Ich war in einen separaten Raum
gelaufen. Die Wände waren zuwider.
Das Echo hallender Spangenschuhe näherte sich. Ich war in der Damentoilette.
Der Gang sah Gare du Nord nicht besonders ähnlich und langsam fing ich mich an zu wundern.
Eine laute weibliche Stimme wurde immer deutlicher und die Schritte immer lauter. Die Frau regte sich lauthals
über etwas auf. Ihr Englisch war zu schnell für mich und ich verstand kein Wort.
Mein Zug war bereits abgefahren.
Meine Insomnia war wahrscheinlich mein größter Feind.
Ich kann Traum von Realität nicht mehr unterscheiden, nur spekulieren, ob diese Realität schlimm genug ist ein
Traum zu sein. Manchmal waren diese aber mild genug, um sie mit meinem wachen Zustand zu verwechseln.
Traum und Realität waren eins.
Mein Arzt diagnostizierte mir eine Mischung aus Somnambulismus und Pavor nocturnus.
Schlafwandel und Albträume. Meistens erwache ich aus diesem Zustand mit einem so lauten Schrei, dass mein
Umfeld mich genauso überrascht und schockiert anguckt wie ich sie.
Ich hatte viele Albträume. Ich wusste das es Albträume sind, weil es undenkbar wäre, wären sie es nicht.
Die roten Haare hatten mich im Würgegriff.
Die gestreifte Strumpfhose und der karierte Rock.
Ich sah ihr Gesicht in meinen Träumen.
Ich sah ihr Gesicht in dem Gesicht der Kassiererin, welche zurück schrie, als ich schrie.
Ich erwachte diese Woche an mehr Orten als in den letzten Monaten.
Der Verfolgungswahn hörte nicht auf. Manchmal betete ich zu Gott. Ich glaubte, etwas hätte mich besessen.
Ich fühlte die Säcke unter meinen Augen und die trockene Luft auf meinem Augapfel. Blinzeln fiel mir schwer, aber
meine Augen füllten sich von alleine mit Tränen und rollten über meine Augensäcke bis in meinen Mundwinkel.
Die Autos auf den Champs Élysée rauschten an mir vorbei und verwandelten sich in einen lärmenden Strom aus
verschwommenen Farben.
Schon wieder sie.
Ich rannte auf die Straße.
Mein Arzt befürwortete Konfrontation.
Das Hupen konnte ich kaum hören, während ich über die Straße stolperte. Meine Umgebung war verschwommen
bis auf die roten Haare.
Ich flehte und bettelte.
Sie nahm mich an die Hand und zog mich mit sich.
Wie sonst auch erwachte ich mit einem langen und schmerzvollen Blitz, welcher sich durch meinen Körper zog und
durch einen Schrei freigesetzt wurde.
Dieses Mal war es ein leiser Schrei und ich spürte einen leichten Druck an meiner Hand.
Sie lächelte mir mit einem hinreißenden Lächeln zu.
Wir waren unter der Erde.
Es bröckelten kleine Steine aus verschiedenen Ritzen auf eine Menschenmenge vor mir.
Die Steinmauern schmückte buntes Graffiti. Manche waren kaum noch zu erkennen und andere waren in
Neonfarben kaum zu übersehen. Im Kontrast standen die roten Samtsessel.
In Reihen aufgestellt und genug für mindestens 30 Personen.
Gedankenversunken fuhr ich durch das Samt. Es schmolz in meiner Hand. Wie rotes Feuer prickelte meine Haut
bei jeder Berührung. Das Graffiti schwang in kreisenden geschmeidigen Bewegungen an den Wänden entlang und brachte den Raum zum Leben.
In meinen Ohren rauschten die Geräusche der mich umgebenden Menschenmenge.
Bunte Lichter betörten meine Augen und jede Person im Raum hatte eine andere Farbe. Irgendwo spielte laute
Musik.
Sie reichte mir ein Getränk und lächelte sanft: „Willkommen in den Katakomben“.
Einen Tunnel weiter waren Matratzen, auf denen wir schliefen. Ich schlief gut. Tief und fest. Ich wurde nur ein einziges
Mal aufgeweckt von dem Ringen eines Telefons.
Aus dem Augenwinkel sah ich sie hektisch diskutieren.
Immer wieder fiel mein Name, aber ich war zu müde. Meine Augen fielen zu und ich schlief weiter.
Mein Rücken tat weh. Die Matratze war weg, meine Hände fuhren durch Stein und Sand.
Mein Kopf pochte, gleichzeitig fühlte ich mich noch nie so ausruht.
Alles war dunkel.
Ich tastete nach ihr. Nichts. Ich rief in die Dunkelheit. Nichts.
Ich erfasste einen Metallgriff. Eine Taschenlampe.
Das Licht fiel auf…nichts. Der Gang war leer.
Wo war sie?
Meine Schritte waren das einzige Geräusch im Tunnel.
Der nächste Gang war leer.
Der nächste war leer.
Der nächste war…. Nicht leer.
Ein roter Sessel stand an einer besprühten Wand. Das Graffiti war alt und kaum mehr zu lesen.
Der Sessel war mit Staub übergossen und von Rissen übersäht.

Josephine Peterlein

Cindy kam spät nach Hause. Sie war noch bis spät bei einem Klienten, der sie nach ihrem Gespräch, als Dankeschön für ihre Hilfe, zum Essen eingeladen hatte. Ihr Mann war auch noch bis spät bei seinen Freunden, aber immer noch vor ihr zu Hause. Als Cindy nach Hause kam, roch sie sehr stark nach Alkohol. Ihr Mann half ihr, sich umzuziehen und brachte sie dann ins Bett. Als sie sich nachts übergab, hielt er ihr die Haare aus dem Gesicht und brachte ihr etwas zu trinken.
Cindy war jedoch bevor sie zu ihrem Klienten ging, bei einem Arzt, der nur Englisch spricht, da sie unerträgliche Kopfschmerzen hatte und diese auch nicht besser wurden. Der Arzt hat ihr Blut abgenommen, um es zu untersuchen. Er hat ihr versprochen, sich zu melden, wenn er was gefunden hat.
Cindy hat ihrem Mann nichts von ihrem Arzttermin erzählt und wird es ihm auch erst dann erzählen, wenn es nicht anders möglich ist. Eine Woche später ruft der Arzt bei Cindy an und erzählt ihr, was er gefunden hat: Sie hat einen Hirntumor in einem sehr weit fortgeschrittenen Stadium, so dass man diesen leider nicht mehr behandeln kann und sie leider in wenigen Wochen versterben wird. Als Cindy fragt, wie lange sie maximal noch hat, antwortet der Arzt, dass sie, wenn es gut läuft, noch drei Wochen hat. Als sie das hört antwortet sie: „Ohhh… Alright…“ Da sie wusste, dass ihr Mann in seinem Arbeitszimmer arbeitete, versuchte sie ihre Verzweiflung und Niedergeschlagenheit nicht zu zeigen, was ihr allerdings nicht sehr gut gelang. Deshalb kam ihr Mann, nachdem sie das Gespräch beendet hatte, zu ihr und fragte, ob alles in Ordnung sei. Als sie sagte, dass alles in Ordnung sei und leider einer ihrer Klienten verstorben war, war er sehr beruhigt und bot ihr an, ihr ein Bad zum Entspannen fertig zu machen. Dieses Angebot konnte sie
nicht ausschlagen, deshalb stieg Cindy zehn Minuten später in die Wanne. Als sie dann in der Wanne lag, versuchte sie, ihren Kopf frei zu machen, um darüber nachzudenken, wann sie ihrem Mann die Wahrheit über das Telefonat erzählen soll. Nach einiger Zeit kommt sie zu dem Schluss, dass sie ihrem Mann in zwei Wochen von ihrem Hirntumor
erzählen wird.
Die folgenden Tage ist Cindy sehr angespannt und bekommt auch leider immer wieder sehr starke Kopfschmerzen. In dieser Zeit ist ihr Mann sehr für sie da und kümmert sich um sie, wenn es ihr sehr schlecht geht.
Zwei Wochen später ist Cindy tot und ihr Mann steht vor Gericht, da er ihr ein Mittel verabreicht haben soll, das die Tumorbildung im Körper fördert. Man hat bei diesem Mittel nur keinen Einfluss, wo der Tumor anfängt zu entstehen. Den maßgebenden Beweis hat der englischsprachige Arzt geliefert, der Cindys Blut untersucht und bei ihrem Gespräch nicht alles erzählt hat. Er zögerte, da er zuerst nicht wusste, was er in ihrem Blut gefunden hat. Nachdem er allerdings wusste, was das für ein Mittel war, hat er sofort die Polizei verständigt. Während der Befragung des Mannes von Cindy erzählt er die ganze Wahrheit: Sein Ursprungsmotiv war, dass er neidisch auf Cindy war, da sie die besser bezahlenden Klienten bekommen hat. Deshalb war er finanziell von Cindy abhängig, was er nicht akzeptieren wollte, denn er wollte, dass Cindy zu Hause bleibt und sich um den Haushalt kümmert. Zudem sollte sie finanziell von ihm abhängig sein. Der Auslöser, warum er angefangen hat, ihr dieses Mittel zu geben, war, dass er den Verdacht hegte, dass Cindy ihn mit einem Kollegen aus der Kanzlei betrog.

Laura Barmwater

Ein Windstoß drückte das Fenster auf und Schneeflocken rieselten durch die dadurch entstandene Lücke auf den vergilbten Teppich. Sie hob die Zeitung auf, die auf dem Boden lag, auch sie war unvorstellbar alt und die Mäuse hatten sich bereits an ihren Kanten gütlich getan. Auf dem Bild war ein Mann, das Haar für sein Alter ungewöhnlich weiß und kräftig zu erkennen. Stählerne blaue Augen und ein hartes steinernes Gesicht. Er befand sich in einem Gerichtsaal von Menschen umringt, ein unnatürliches Lächeln auf den Lippen, jenes Lächeln, welches sie Tag für Tag verfolgte, welches sie zur Flucht getrieben hatte, sie nicht los ließ und vor welchem sie nicht flüchten konnte, da er überall war. Ihr Vater hatte für ihn gearbeitet, bis er ihn an den Geheimdienst verraten und ins Zeugenschutzprogramm eingegliedert worden war. Doch es hatte nichts genützt, keine vier Monate hatte es gedauert, bis sie sie aufgespürt hatten. Die ersten Male kamen sie noch davon, doch es wurde immer knapper, die Zeiten, in denen sie an den Orten blieben, wurde immer kürzer, es war fast, als hätte man ihnen ein magischer Fluch auferlegt, welcher sie für ihre Feinde immer und immer wieder sichtbar machte. Schließlich war es zu knapp gewesen, er war gestorben und mit ihm ihr Bruder und ihre Mutter. Doch diese Menschen begnügten sich nicht mit drei Morden, sie waren beauftragt worden ihren Nachnamen auszulöschen. Sie war schon an so vielen Orten gewesen und diese – dieser hier war keine Ausnahme – wurden von Mal zu Mal trostloser. Hier oben im Norden war es kalt, sie trat ans Fenster und schloss es. Sie hatte erwartet irgendwann zu ermüden, sich nicht mehr zu wehren. Doch von Angriff zu Angriff war ihr Wille zu überleben stärker und stärker geworden. Das Telefon klingelte. Durch den Raum schritt sie auf das zu seinem Umfeld einen ungewöhnlichen Kontrast bildenden neue Smartphone zu und nahm ab. “Deine Reise geht weiter”, sagte die ihr so vertraute warme Stimme. “Oh okay” sagte sie, packte ihre Sachen und trat aus der Tür, von der der weißer Lack abbröckelte, hinaus in den Schnee.

Oscar Prawda