Neue Wege statt „normal“

In was für eine Welt starten die Abiturient:innen 2021? Gibt es ein Zurück zur alten „Normalität“? Oder liegt die Chance darin, gerade jetzt neue Wege einzuschlagen, auf denen jede und jeder die Gesellschaft prägen kann? Dieses Thema befasste sowohl Herrn Dr. Janneck als auch die Klassenleitungen in ihren Redebeiträgen. Hier sind sie nachzulesen.

Verabschiedung der Q2a am 7. Juni 2021

Liebe Eltern, liebe anwesende und abwesende Kolleg:innen,

meine lieben Mädels (oder sollte ich besser sagen: junge Frauen, die bereit sind, in die Welt zu fliegen?),

es hat mir so viel Spaß gemacht mit Euch! Ich habe vieles von Euch gelernt – zwei willkürlich herausgegriffene Beispiele sind, dass wir alle Rassisten sind und dass eine Minute nicht 30 Sekunden hat – bei Letzterem bin ich mir allerdings noch nicht ganz so sicher.

Andererseits habt Ihr offensichtlich auch einiges von mir gelernt, jedenfalls habt Ihr mit 50% im Einser-Bereich die Abiturklausur des Jahrhunderts geschrieben und ich bin nach wie vor erstaunt, dass Kiel keine Drittkorrektur angeordnet hat – oder die hat längst stattgefunden und auch die Verantwortlichen mussten erkennen, dass neunzehnjährige, weiße Mädchen aus Europa sich sehr wohl hineinversetzen können in neunzigjährige schwarze Männer in den USA.

Eine wichtige Sache, die ich von Euch gelernt habe, ist, dass „Lockdown Scheiße“ ist. Ich erinnere mich an die Formulierung „Weißt du, Katja, ich darf noch zur Schule gehen – das ist nicht mein liebster Aufenthaltsort – und ich darf zu Hause rumsitzen – das ist nicht meine liebste Beschäftigung. Alles, was mir Spaß macht, ist jetzt verboten.“ Da ich total gerne zur Schule gehe und total gerne zu Hause rumsitze, war das ein ziemlicher Eye-Opener für mich.

Wir haben dann den Versuch gestartet, die Situation gemeinsam zu verbessern, was allerdings nicht so richtig geklappt hat – ich glaube, die zweite Hälfte vom Gandhi-Film fehlt uns bis heute? Nach dem zu urteilen, was ich so nebenbei mitgekriegt habe, habt Ihr Euch während des Lockdowns deutlich erfolgreicher untereinander gekümmert, habt miteinander geredet, seid gemeinsam spazieren gegangen (zum Beispiel, um mir mein Wichtelgeschenk vorbeizubringen).

Insgesamt habt Ihr bewiesen, dass „Nähe in der Distanz“ sehr wohl möglich ist – Ihr seid füreinander eingestanden, habt Zusammenhalt gezeigt und versucht, aus einer unerfreulichen Situation das Beste zu machen. Das ist übrigens etwas, was ich mit Euch gemeinsam gelernt habe: Es kommt nicht vorrangig darauf an, wie die Situation ist, sondern was man daraus macht – Euer ungewöhnliches Geburtstagsständchen zu meinem 50. beispielsweise werde ich sicher nie vergessen.

Ihr habt also ganz offensichtlich, allen Widrigkeiten zum Trotz, etwas aus Eurer Schulzeit gemacht. Dass Euch das gelungen ist, darauf könnt Ihr stolz sein, darauf bin ich stolz. Nachdem Ihr die letzten zwei Jahre hier erfolgreich absolviert habt, könnt Ihr frohen Mutes in die Zukunft blicken: den Rest werdet Ihr locker wuppen. Und wenn Ihr mal ins alte Nest zurückfliegt, um über die weite Welt zu berichten, würde ich mich freuen, wenn Ihr auf einen Kaffee vorbeischaut.

Wir alle, präsent und distant, wünschen Euch für diese Zukunft alles erdenklich Gute!

Vielen Dank.

Katja Benkert

Verabschiedung der Q2b am 7. Juni 2021

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Liebe Eltern und Gäste, liebe Bios,

es ist geschafft. Ihr habt Euer Abitur in der Tasche – gleich gibt es dafür auch die offizielle Bescheinigung, die Schulzeit ist vorbei und Ihr könnt endlich selbst entscheiden, wie Ihr Euer Leben gestalten wollt.

Das nötige Rüstzeug dafür, habt Ihr Euch in den letzten 12 Jahren zum Teil sehr mühsam angeeignet. Ihr habt unendlich viel Wissen in den verschiedensten Fachbereichen angehäuft, habt bewiesen, dass Ihr es in den unterschiedlichsten Kontexten anwenden und weiterdenken könnt. Ihr habt gelernt, in Englisch zu analysieren, in Deutsch darzustellen, in Chemie umzuwandeln, in Geschichte zu zitieren, in Religion zu diskutieren und habt auch gelernt, Euch selbständig in alle Bereiche einzuarbeiten, die – warum auch immer – gerade eine Bedeutung haben sollen. Die Welt steht nun bereit dafür, dass Ihr sie mit all dem erobern könnt. Und dabei schadet es sicher nicht, wenn Ihr das ein oder andere Gelernte wieder vergesst bzw. bereits vergessen habt. Denn vermutlich werden nicht alle von Euch täglich Verwendung finden für die Berechnung der Schnittgeraden zwischen zwei sich kreuzenden Ebenen im 5-dimensionalen Raum oder für die barockuntypische kontrastierende Gegenüberstellung der Klangfarben bei fehlendem Basso continuo in Mozarts Großer Messe in c-Moll und auch nicht für die sekundär aktiven Transportmechanismen durch die selektiv permeable Biomembran des rauhen endoplasmatischen Retikulums. Ob es die beiden ersten Beispiele überhaupt gibt, bin ich mir nicht sicher – sie hören sich aber auf jeden Fall nach etwas an, womit Ihr Euch in den letzten Jahren beschäftigen durftet…

Nun ist es ja aber so, dass das Wissen in der Schule gar nicht immer einen wichtigen Wert an sich darstellt, sondern dass das Lernen und die Kompetenzen beim Wissenserwerb und drumherum das sind, was eigentlich vermittelt werden soll. Und da habt Ihr eine ganze Menge Wertvolles mitgenommen:

z.B. frei nach John Lennon, dass Leben das ist, was passiert, während wir eifrig dabei sind, andere Pläne zu machen. Es kommt manchmal ganz anders, als man denkt und damit musstet Ihr umgehen lernen. Denn Eure Oberstufe ist nicht immer nach Plan abgelaufen. Ihr habt verschiedene Wechsel von Lehrkräften mitgemacht, habt darum gekämpft, bestimmte Fächer weiter belegen zu können und natürlich hat die Corona-Pandemie uns nicht nur um unsere Kursfahrt gebracht, sondern sie hat mit allen notwendigen Regelungen dazu geführt, dass wir plötzlich in den Fernunterricht geschickt wurden, in dem wir alle keinerlei Erfahrung und erstmal wenig Kompetenzen vorweisen konnten. Und bei solchen Erlebnissen habt Ihr gelernt, dass Lehrerinnen und Lehrer auch nur Menschen sind, die auch immer noch weiter lernen müssen, und dass Ihr selbst Euer Leben, d.h. hier den Unterricht in die Hand nehmen und Euch einmischen könnt, um etwas zu verändern.

Und diese Verantwortung und das Einmischen ist das, was ich mir für Euch und von Euch nun wünsche: wir brauchen Euch. Jetzt, wo wir bei der Bewältigung der Corona-Pandemie schon ein ganzes Stück weiter gekommen sind, müssen auch die anderen großen Herausforderungen unserer Welt wieder in den Mittelpunkt rücken. Wir brauchen junge Leute wie Euch, die uns ältere immer stärker und vehementer in die Pflicht nehmen, der Klimakrise entschlossen entgegenzutreten und Euch eine lebensfähige Welt zu übergeben. Mischt Euch ein, geht wählen, gebt Eure Stimme der demokratischen Partei, die Euch die beste Zukunftsaussicht bietet, weil sie die Probleme in der Gegenwart angeht. Oder geht in die Forschung und arbeitet selbst daran, unserer Umwelt unter die Arme zu greifen. Vielleicht ist es eine oder einer von Euch, die einen entscheidenden Beitrag zur Verringerung von Emissionen oder sogar zum Binden von CO2 leisten können. Zuzutrauen ist es Euch alle mal.

Aber es gibt auch nicht nur einen Bereich, in dem wir Euch brauchen können und nicht jede und jeder muss gleich die gesamte Weltrettung angehen. Vielleicht liegt Euch die Gleichberechtigung aller Menschen besonders am Herzen, so dass Ihr euch gegen Diskriminierung und Benachteiligungen einsetzen wollt. Oder Ihr seid musikalisch begabt oder sportbegeistert und nutzt Euer Talent, um Kinder oder Menschen im Altenheim ehrenamtlich zu unterstützen. Es gibt viele Bereiche im echten Leben außerhalb der Schule, in denen wir Euer Einmischen und Euer Engagement sehr gut gebrauchen können.

Und das alles könnt Ihr dann besonders gut leisten, wenn es Euch selbst gut geht. Daher geht es nicht darum, dass Ihr Euch über die Maßen und über Eure eigenen Kräfte hinaus aufopfert. Unseren heutigen gesellschaftlichen Hang zur Selbstoptimierung habt Ihr beim Thema Doping ja kennen gelernt und wisst, dass auch es eine der Herausforderungen in unserer modernen Welt darstellt, die eigenen Grenzen zu akzeptieren. Wenn jeder Mensch an einer Stelle dafür sorgt, dass die Welt ein kleines bisschen besser wird, dann ist sehr viel geschafft!

Und natürlich ist es jetzt mit dem Abi in der Tasche und mit Corona auf einem guten Weg für Euch an der Zeit, Euer Leben wieder mehr zu genießen, Freunde zu treffen, zu reisen (soweit es wieder geht), Eure erste Wohnung auch ohne elterliche Hilfe zwei Minuten vor deren Besuch wieder weitgehend aufgeräumt zu haben, tanzen zu gehen, zu feiern und ausgelassen zu sein. Nachholen könnt Ihr nicht, was im letzten Jahr alles ausgefallen ist, aber das, was jetzt wieder möglich wird, könnt Ihr einfach machen! Gerade Eure Generation, die bekanntlich unter den Einschränkungen besonders gelitten hat und die sich besonders solidarisch für die ältere Gesellschaft zurückgenommen hat, hat sich das wirklich verdient!

In dem Zusammenhang würden Frau Strehl und ich uns wirklich freuen, wenn wir noch eine Abschiedsparty mit Euch hinbekommen. Frau Strehl und ich sitzen im Lehrerzimmer an der gleichen Tischgruppe und haben uns oft darüber ausgetauscht, wie schön der Unterricht mit Euch gerade wieder gewesen ist, wie nett Ihr mit einander umgeht und – in Sport sicher noch ein bisschen öfter als in Bio – wie witzig und locker es mit Euch in der Stunde gerade wieder gewesen ist. Wir sind uns einig, dass Ihr die netteste Klasse seid, die uns jemals untergekommen ist und dass wir Euch auf jeden Fall mit mindestens einem weinendem Auge ziehen lassen.

Ich gratuliere Euch allen sehr herzlich und hoffe, dass Ihr megastolz auf das seid, was Ihr erreicht habt.

Auf Euch und herzlichen Dank für die schöne Zeit mit Euch!

Dr. Maike Ventzke

Verabschiedung der Q2c am 7. Juni 2021

Herzlichen Glückwunsch zum betandenen Abitur!

Obwohl wir leider keine Studenfahr machen durfen, bleibt uns immer Berlin 😉
– und all die anderen Insitute, an denen wir pipetiert und unsere DNA untersucht haben!

Ich wünsche Dir alles Gute für Deine Zukunft und ein glückliche Händchen bei Deiner Berufswahl! Have a wonderful life!

Be silly

Be honest

Be kind

Ralp Waldo Emerson

Herzliche Grüße, Petra Junge

Verabschiedung der Q2d am 7. Juni 2021

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, einmal sage ich es noch: Liebe Q2d,

das ist nun also die letzte Gelegenheit für mich, Ihnen etwas mit auf den Weg zu geben. Ich möchte Ihnen ein spezielles Genre russischer Musik näherbringen, Lieder, die in Russland und der Sowjetunion ganze Generationen geprägt haben, aber hier bei uns so gut wie unbekannt sind. Es handelt sich um sog. Blat-Musik – Gaunerlieder. –

Nun mögen Sie sich vielleicht fragen, wie ich darauf komme, ausgerechnet bei der Aushändigung Ihrer Abiturzeugnisse über Gaunerlieder zu sprechen…

Das russische Chanson, das Blat-Lied, hat seinen Ursprung in den 1920er Jahren in Odessa, der Schwarzmeer-Hafenstadt. Die heterogene Zusammensetzung der Bevölkerung sorgt für einen kulturellen Mix: Aus italienischer Operette, argentinischem Tango, jüdischer Klezmer-Musik, Roma-Musik, Mode- und Volkstänzen und allmählich auch dem Jazz entwickelt sich ein neues Genre: „Blat-Lieder“, die in einem derben russischen Jargon von Gaunern und ihren Abenteuern erzählen, z.B. dem Schwarzmarkthandel, aber auch von der Zeit im Gefängnis, von der Sehnsucht nach Freiheit und der Heimat.

Die Sympathien liegen dabei auf der Seite der Ganoven: Gesetze gelten nur für diejenigen, die sich ihnen unterordnen, und wenn ein Diebstahl nur elegant genug begangen wird, gibt es daran nichts auszusetzen. Erst recht nicht, wenn der Staat bestohlen wird.

Schon bald sind diese Lieder in der gesamten Sowjetunion bekannt. Öffentlich werden keine Tonträger verkauft oder die Lieder im Radio gespielt, aber im Untergrund blüht der Handel.

Haben Sie schon einmal von „Rippenmusik“ gehört? In den 1950er und 60er Jahren ist das Material knapp, worauf soll man – illegal – die Schallplatten mit Blat-Musik pressen? Auf Röntgenaufnahmen aus den Polikliniken! Diese Schallplatten sind durchsichtig und es schimmern eben z.B. die Thoraxaufnahmen durch – „Rippenmusik“.

Ab Mitte/Ende der 60er Jahre erleichtert eine neue Aufnahmetechnik die Verbreitung der Blat-Lieder: Tonband und Kompaktkassette. – Ich habe mich erkundigt: Sie kennen diese Kassetten noch … (Benjamin Blümchen).

Die Musikproduzenten sind findige Unternehmer: Konzerte finden in Wohnzimmern oder Bars statt, meist nur mit 15 bis 20 Zuschauern, die ein hohes Eintrittsgeld zahlen müssen. Dafür dürfen sie die Konzerte auf Tonband aufnehmen und so oft auf Kassetten vervielfältigen und verkaufen, wie sie wollen. Vertriebspunkte für die Kassetten sind Kneipen, Restaurants und — Taxis. —

(Kurios: Auch noch nach dem Zerfall der Sowjetunion, als es keine Zensur mehr gab, bestand noch das Verbot, die Blat-Lieder in Taxis abzuspielen.)

Ein regelrechter Star der damaligen Szene in den 1970er Jahren ist Arkadij Sewernyj, der für seine Untergrundkarriere sogar seinen Beruf als Forstwirt aufgibt. Er verdient pro Abend 500-600 Rubel – ein Vielfaches des damaligen Durchschnittsmonatsgehalts. Er nimmt während seiner kurzen Karriere ungefähr 1.000 Lieder auf. Aber der Erfolg hat auch Schattenseiten: falsche Freunde, falscher Lebensstil, Alkohol, Drogen, früher Tod mit 41 Jahren.

Ende der 1980er Jahre setzt die Perestrojka ein, die große Öffnung der Sowjetunion. Nun ist erst einmal westliche Popmusik gefragt. Die Blat-Musik scheint verschwunden.

Doch in den späten 90er Jahren beginnt wie aus dem Nichts eine Renaissance der russischen Blat-Lieder.

Kostja Beljajev, ein Blat-Sänger, der noch in den 80er Jahren fünf Jahre in Gefängnissen und Lagerhaft verbracht hat, singt mit über 60 Jahren zum ersten Mal in öffentlichen Konzertsälen, und eine neue Generation von Sängern befördert das Genre ins 21. Jahrhundert. Es gibt sogar einen Radiosender, der sich auf russische Chansons spezialisiert hat. Und seit 2010 steht ein Denkmal des Sängers Arkadij Sewernyj, Held der 70er, in dessen Geburtsstadt Iwanowo.

Man hat sich in Russland auf die eigene Musikkultur zurückbesonnen.

Selbstverständlich wird in Russland auch und immer noch sehr gern westliche Musik gehört, aber der „Austausch“ findet nur in eine Richtung statt – russische Musikkultur ist bei uns im Westen so gut wie unbekannt.

Warum habe ich Ihnen von der russischen Blat-Musik erzählt?

Die Welt, in der wir leben, ist groß und bunt und reich an Kultur. Wir können viel entdecken – wenn wir dazu bereit sind.

Alles Gute!

Dr. Daniela Appel

Verabschiedung der Q2e am 7. Juni 2021

Jetzt einmal nicht „Liebe Q2e“, sondern „Liebe Abiturientinnen und Abiturienten“, liebe Eltern und Familien, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier in der Aula und vielleicht auch am Stream…

Ich freue mich wirklich, dass heute ALLE hier sitzen. Viele von Ihnen haben sich bei den mündlichen Prüfungen noch einmal richtig ins Zeug gelegt und einige mussten das auch. Nun ist es geschafft. Dazu Ihnen (und Ihren Eltern) meinen ganz herzlichen Glückwunsch.

Es hätte einen gewissen Reiz gehabt, in dieser Abitur-Rede ganz auf das Wort „Corona“ zu verzichten, aber ich finde, das geht nicht. Diese Pandemie hat unser letztes Schuljahr und Ihre Abiturzeit geprägt und uns aus unserem privaten und schulischen Alltag geworfen. Daher möchte ich mit einem kleinen Blick zurück und einem kleinen Blick nach vorne über Normalität und Alltag sprechen.

Als normal erachten wir doch, wenn alles so läuft, wie es immer schon gelaufen ist. Wenn man sich im Alltag sicher bewegen kann, ohne allzu große Überraschungen und ohne alles immer erst hinterfragen und durchdenken zu müssen.

Eine solche normale Schulzeit hatten wir zusammen. Vor Corona hieß normal: Wir konnten nach Berlin fahren und eine kleine Minikursfahrt machen, uns ein bisschen kennenlernen, uns zum Frühstück in Eutin treffen, Absolutismus im Schloss erleben, wir hatten Weihnachtstreffen, eine Reihe ziemlich fröhlicher Sportstunden ohne Maske und Abstand: Volleyball, Fußball am Strand zum Schuljahresende, Tennisspiel u.s.w. (Gucken Sie unter „Highlights“ in der Abizeitung).

Mit dem Überschwappen der Pandemie funktionierte dann nichts mehr leichtgängig und normal: Wir – einige von uns mehr, andere weniger offensichtlich – standen unter Coronastress und mit uns die gesamte Gesellschaft. Was das für Sie persönlich hieß, haben wir eben in der Rede von Marie und Benett gehört. Für die Schule hieß das: Distanziertes Unterrichten, wirklich nerviges Maskentragen (vor allem für Brillenträger), paralleles Unterrichten in zwei Räumen oder ganz über OX und jede Menge Einschränkungen was außerunterrichtliche Aktivitäten angeht. Kursfahrt und Abiball wären möglicherweise legendär geworden.

 

Ich habe mich im Vorfeld gefragt, ob Sie alle nun der gezeichnete Coronajahrgang sind oder ob es trotz oder wegen dieses besonderen Abiturjahres auch etwas Positives gibt, das gerade und vor allem Sie aus dieser so wenig alltäglichen Abiturzeit mitnehmen: Profitieren Sie also als Abiturjahrgang auch von dieser Zeit? Und damit meine ich nicht die zahlreichen Drogen, die anscheinend, wenn ich Ihrer Rede Glauben schenken kann, an Ihnen vorbeigegangen sind. Mir ist eine schulische Sache aufgefallen: Sie waren mehr auf sich gestellt und das hat sicherlich bei vielen auch Kräfte freigesetzt – in Bezug auf die Eigenständigkeit, Sorgfältigkeit der eingereichten Arbeiten, Eigenverantwortung für den eigenen Arbeitsprozess. Aber vielleicht gibt es auch noch etwas anderes: Wir alle haben erfahren, wie viel Undenkbares – nicht nur in der Schule – in kürzester Zeit plötzlich möglich wurde und auch recht schnell neue Normalität wurde. Und wäre ihr Abitur wirklich ausgefallen oder ihre Schulzeit um ein Jahr verlängert worden – es hätte uns kaum noch überrascht, es wäre möglich gewesen.

Auch mit Blick in die Geschichte (…) heißt „realistisch sein“ wohl vor allem mit dem Undenkbaren zu rechnen und auch in ungewöhnlichen Alternativen zu denken.  Dann ist unvernünftig und realitätsfern eher, nur mit dem Faktischen, mit dem, was so ist, weil es schon immer so ist, zu rechnen. Also mit der Normalität.

Denn: nichts ändert sich schneller als die Realität, das lehrt nicht nur unser letztes Jahr, sondern eben auch die Geschichte. Die Zukunft ist gar nicht so durchplanbar, wie wir es manchmal gerne hätten, und wahrscheinlich auch offener, als wir gemeinhin glauben. Und damit bin ich bei Ihnen und Ihren Zukunftsplänen:

Das Abitur bietet Ihnen ja eine fast unüberschaubare Fülle an beruflichen Wegen. Und jede Entscheidung für eine Ausbildung oder ein Studium bedeutet ja auch, dass Sie sich gegen andere Lebensmöglichkeiten entscheiden.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie diese Offenheit der Zukunft nicht als Belastung empfinden, sondern Ihre anstehenden beruflichen Entscheidungen auch mit einer gewissen Gelassenheit treffen können. Für Sie gibt es sicherlich nicht nur den einen richtigen Weg und es ist auch eher unwahrscheinlich, dass ihr beruflicher Werdegang so gradlinig und in der Rückschau alternativlos verlaufen wird, wie ihre Schulkarriere. Verzeihen Sie sich scheinbare Umwege. Diese sind in beruflichen Biografien häufig eher das Normale.

Und jetzt mein letzter Gedanke zum Stichwort „Normalität“: Nicht nur als Abiturient:in lassen Sie den gewohnten (sicheren) Alltag hinter sich, sondern wir leben ja in einer spannenden Zeit, in der immer klarer wird: Auch für uns als Gesellschaft wird das „Buisness as usual“, die alte Normaltiät immer fragwürdiger, Sätze wie „Das war schon immer so“ oder „Das ist so nicht vorgesehen“ werden zunehmend albern. Denn ganz offensichtlich stehen große gesellschaftliche Transformationsprozesse an, die neue Antworten auf die ökologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen geben werden und damit eine neue Normalität schaffen. Nun weiß ich, dass Sie nicht alle aktiv FFF unterstützt haben. Aber Ihre Generation wird in der Rückschau dennoch wohl als FFF-Generation gelten (So wie ich der Generation „Golf“ angehöre, ohne dass ich so ein Auto je besessen hätte). Und Ihre Generation wird diese zukünftigen Transformationsprozesse in den nächsten Jahrzehnten mitgestalten. Sie werden an den kleinen oder größeren Rädern drehen. Dies braucht Kreativität, Offenheit für neue Wege, Verantwortungsbereitschaft – und es werden gut ausgebildete, kritische Menschen nötig sein. Menschen, die scheinbar Altbewährtes und Normales in Frage stellen und Fantasie für neue Möglichkeiten haben. Ihnen allen traue ich das zu. Sie waren eine sehr bunte Mischung von unterschiedlichen Typen und Charakteren, insgesamt war unsere Klasse leistungsbereit, diskussionsfreudig, meist wach und mitteilungsfreudig. Und ich habe Sie als selbstbewusst, immer freundlich und in respektvoller Anspruchshaltung erlebt. Ich finde, das sind gute Voraussetzungen, um mit Sicherheit und Selbstbewusstsein in die nächste Lebensphase zu gehen.

Ich gratuliere Ihnen noch einmal ganz herzlich zum bestandenen Abitur. Ich möchte mich dem Appell von Marie und Benett anschließen: Entwickeln Sie ganz neue Perspektiven und Träume. Dafür wünsche Ich Ihnen alles erdenklich Gute. Und – wie schon in der Abizeitung geschrieben – lassen Sie mal etwas von sich hören. Vielen Dank.

Frank Lübke