Tagebuch eines Zuhausebleiblehrers

So, jetzt mal Hand auf’s Herz und Füße auf’n Tisch: Wer glaubt, in diesen Tagen, sein sonst so schmeichelhaft voranschreitendes Leben wie noch vor vier Wochen führen zu können, der hebe bitte nun die Hand.

Na? Na? Niemand? Tja, ich auch nicht. Wir stehen von der bislang größten Herausforderung dieses Jahrtausends, und alles wegen Corona.

Dieser Virus beherrscht unseren Alltag, so auch meinen. Tagtäglich folge ich den Nachrichten, ich denke nicht mehr in Wochentagen, sondern bloß noch an heute und morgen und plane fast schon strategisch die Einteilung des verbliebenen Klopapiers. Dass das alles zu einem komplett neuen Tagesrhythmus geführt hat, ist unbestritten der Fall. Aber bis dahin war es ein langer Weg. An dieser Stelle gewähre ich exklusiven Einblick in das Tagebuch eines Zuhausebleiblehrers.

25.03.2020, 06:00 Uhr

Erstmalig klingelt der Wecker, und das hat er auch schon die Wochen zuvor um diese Uhrzeit getan. Keine Veränderung also. Wichtig sei es, seinen Tagesrhythmus möglichst beizubehalten. „Verfallt bloß nicht in einen Trott und bleibt nicht bis 11 Uhr im Bett“, so Jan Böhmermann sinngemäß in seinem Podcast. Der hat gut Reden, denke ich. Egal, ob mit oder ohne Corona, früh Aufstehen, besonders in der dunklen Jahreszeit, war noch nie meine Stärke. Snooze, noch fünf Minuten.

06:05 Uhr

Noch 10 Minuten. Büdde, büdde… Snooze…

06:10 Uhr

Snoo… Nein, nu is nuch, würde meine Oma jetzt sagen. Hilfreich ist es tatsächlich, dass meine Freundin auch raus muss, und so trägt sie einen großen Teil zu meinem Tagesrhythmus mit bei. Ich darf mich bloß nicht nach dem Frühstück wieder hinlegen.

06:20 Uhr

Frühstück, zwei Scheiben Brot, Wurst, Marmelade, eigentlich wie immer.

06:45 Uhr

Meine Freundin geht zur Arbeit, ich schaue sehnlichst Richtung Schlafzimmer. Nein, sage ich zu mir selbst, lass das.

Letzte Woche ist mir das noch passiert. Warum sollte ich denn überhaupt so früh raus, wenn ich mich nicht nochmal hätte hinlegen können. Kümmert doch keinen. Jedoch musste ich feststellen, es kümmert jemanden: Mich selbst bzw. meine Stimmung, meine Kondition, meine Fitness. Dieser Tage macht man doch sehr schnell Bekanntschaft mit seinem inneren Schweinehund. Welch Biest!

07:00 Uhr

Zum guten Glück ist es hell draußen, sonnig und schon einigermaßen warm. Ich habe mir angewöhnt, morgens, wenn es zeitlich passt, eine Runde Fahrrad zu fahren. Für’s Gewissen und gegen den Schweinehund. Und noch viel mehr, für mich selbst. Nichts ist dieser Tage wichtiger, als sich regelmäßig Bewegung zu verschreiben. Die Kurve meines Schrittzählers auf meinem Handy gleicht etwa dem Verlauf der DAX-Kurve, beides ging rasant in den Keller. Doch während die Wirtschaft noch am Knochen nagt, scheinen sich meine Kurve und somit auch meine Laune langsam wieder zu erholen.

08:10 Uhr

Zurück zu Hause geht es die erste Runde an den Schreibtisch, Mails vom Vorabend checken. Diese Platte mit den vier Beinen unten dran hat sich in der letzten Woche in meinem Sozialgefüge weit nach oben gearbeitet, immerhin sehe ich das Möbelstück insgesamt häufiger und länger als meine Familie.

Das Programm lädt alle eingegangenen Mails herunter und verkündet kurzerhand stolz „86 ungelesene Mails“. Fast alles Einreichaufgaben. Hin und wieder Informationen zum aktuellen Schulgeschehen. Das muss ich erstmal abarbeiten, Listen vervollständigen, Kontrollen durchführen, Bekanntschaftsgrad mit Schreibtisch erhöhen. Zeit für den ersten Kaffee.

09:20 Uhr

Durch mein Fenster scheint die Sonne grell in mein Arbeitszimmer. Wenn wir so ein Wetter wie noch vor drei Wochen gehabt hätten, wäre meine Laune so tief im Keller wie so mancher Bergarbeiter während einer 12-Stunden-Schicht in irgendeiner Ruhrpott-Zeche. Doch nun muss ich erstmal den Livestream für meine Klasse vorbereiten, in welchem wir eine Runde Kahoot spielen werden. Mal sehen, wie das Internet heute so drauf ist.

10:35 Uhr

Livestream funktionierte diesmal deutlich besser als noch das Mal zuvor. Es gab bloß einen Komplettausfall. Blöd bei Kahoot, wenn man nur eine gewisse Zeit hat, die Frage zu beantworten. Inzwischen sind bei mir auch allerhandlei alternative Konferenzplattformen wie Discord, Zoom, Padlet, Slack, Big Blue Button und dergleichen mehr aufgelaufen, mit denen ich mich mal auseinandersetzen sollte. Hoffentlich merkt jemand, dass gute Ideen für digitalisierten Unterrichts nur dann etwas nützen, wenn alle (sowohl hardware- und softwaremäßig sowie infrastrukturell) darauf zugreifen können.

10:40 Uhr

Jetzt geht es daran, mit einigen meiner Schülerinnen und Schüler zu telefonieren, um die Klausur zu besprechen, die ich tags zuvor fertig korrigiert habe.

Mit jeder dieser Interaktionen mit meinen Schülerinnen und Schülern werden mir zwei Sachen klar. Erstens, wie wichtig die Instanz Schule ist, der persönliche Austausch, der Kontakt, die Abwechslung. Und zweitens, dass ich das (und euch) inzwischen ganz schön vermisse.

11:15 Uhr

Kurze Schreibtischpause, in der ich mich über die neusten Updates zum Thema informiere und zudem versuche, auch das übrige Tagesgeschehen zu verfolgen. Im Hintergrund läuft ein Konzert von einer meiner Lieblingsbands auf YouTube. Um ehrlich zu sein läuft bei mir ständig irgendeine Musik, die Ruhe macht alles nur noch schlimmer.

Jemand hat mir eine Liste mit Adressen Lübecker Läden geschickt, bei denen man allerhand Sachen bestellen kann. Super Sache, denke ich, das sollte ich irgendwie unterstützen.

12:05 Uhr

Wenn dieser Lockdown eine gute Sache in unseren Haushalt gebracht hat, dann ist es sicher die Tatsache, dass hier seit dem Aufruf, zu Hause zu bleiben, jedes Mal frisch gekocht wurde. Heute gibt’s eine Kürbis-Hack-Pfanne mit Feta. Zudem habe ich mich auch wieder ans Backen gemacht und somit gibt es hier wöchentlich frisch gebackenes Sauerteigbrot (und nein, ich habe nicht das ganze Mehl gekauft).

12:55 Uhr

Meine Freundin kommt zu Essen und berichtet von ihrem bisherigen Arbeitstag. Auch dort gibt es kein anderes Thema als Corona. Das Essen schmeckt aber ausgezeichnet und ich beschließe, das Rezept in mein Repertoire zu übernehmen. Wir fragen uns, wann das Leben wieder zur Normalität zurückkehrt. Tja, wer weiß das schon, aber ist das Normal, was wir hatten, nicht verantwortlich für das, was wir jetzt haben?

Also ich freue mich auf das Normal, das neue Normal.

Teil zwei meines Tagebuchs gibt es dann in den nächsten Tagen!

Lucas Hillringhaus