Wirklich nur „Hass. Macht. Gewalt.“?

„Ob ich bereue, rechtsextremistisch gewesen zu sein? Ja. Aber auch wirklich nur das, nicht meine Taten, sonst hätte ich nie mit einem neuen Leben anfangen können“, endet Philip Schlaffer, ein ehemaliger Neonazi, Rechtsextremist, Rocker und Hooligan. Er betätigt sich seit einigen Jahren nach der Abkehr von diesen Szenen als Sozialarbeiter und informiert an Schulen über das Thema Rechtsextremismus, aber vor allem erzählt er von seiner Geschichte. So auch in unseren 9. Klassen, in denen er von Montag bis Donnerstag mit jeweils einer Gruppe über seine Vergangenheit redete.

Die Glatze ist verschwunden, auch die Tattoos fallen inzwischen nur auf, wenn man darauf achtet. Einige davon habe er sich übertätowieren lassen, wie zum Beispiel ein Hakenkreuz auf der Brust.

In Stockelsdorf geboren, Sohn von zwei studierten Akademikern. Nicht wie die Klischees, die uns Philip Schlaffer beinahe drängte zu suchen, denn man könne seine rechtsextremistische Entwicklung nicht durch eine schwere Kindheit begründen. Angefangen habe alles, nachdem er und seine Familie zuerst ungewollt nach England auswanderten, da war er gerade einmal elf Jahre alt. Einige Jahre später ging es zurück nach Deutschland, doch Schlaffer wollte in seinem neuen Heimatland bleiben, aber er musste mit. Erneut in Lübeck kam er schließlich auf die Realschule und fand dort seine neuen Freunde, ebenfalls Außenseiter – er wurde zum Rebell.

Immer wieder fragt uns Philip Schlaffer während seiner Erzählungen, wie es gewesen sein könnte, will, dass wir selber auf seine Geschichte kommen, dass wir mitdenken. Plakate werden geschrieben – Rechtsextremismus, Linksextremismus, Islamismus – unterstützt durch eigene Bilder und den Kurzfilm „Radikal“.

Durch seine neuen Freunde sei er selbst zum Rechtsextremisten geworden, seine Eltern wussten nicht, was sie tun sollten. In dieser Szene arbeitete er sich hoch und wurde schließlich der Gründer und Anführer der „Kameradschaft Werwolf“ in Wismar, wurde selber von Berliner Neonazis nachts in seiner Wohnung überfallen, doch machte weiter. Bis es zu einem Mord aus seinen eigenen Reihen kam, er selbst war nicht beteiligt. Philip Schlaffer zeigt uns ein Video von einer „Spontan-Demo“, in der Linksextremisten zu seinem Laden in Wismar vordringen und es beinahe zu Gewalt kommt. „Das bin ich. Und ich bin froh, dass viele von euch mich nicht erkannt haben.“, sagt er und ergänzt, „später wurde mir gesagt, dass, wenn ich noch einen Schritt weiter nach vorne gegangen wäre, mir in die Brust geschossen worden wäre.“ Tatsächlich hatte der Ex-Neonazi bereits ein Messer zwischen die Rippen und in den Unterarm bekommen, stieg aus dem Rechtextremismus aber erst nach dem Mord aus. Doch alleine zu sein, war keine Option, er schloss sich den Rockern an, arbeitete sich erneut zum Anführer hoch und wurde wohlhabend. Irgendwann jedoch zeigte sich der ständige Stress, überwacht zu werden: Bei jedem herunterfallenden Gurkenglas im Supermarkt an einen Schuss zu denken und die Streits mit anderen Rockergangs. Er trat auch aus dieser Szene aus – kurze Zeit später wurde seine ehemalige Gruppe als verboten erklärt. Der Neuanfang hielt allerdings nur ein halbes Jahr an, dann wurde Schlaffer wegen ehemaliger Machenschaften im Rotlicht-Milieu und Drogenhandels zu drei Jahren Haft verurteilt. Da legte sich endgültig der Schalter um. Nach vielen Gesprächen mit Psychologen und Seelensorgern ließ er die Last seines „alten Lebens“ hinter sich und startete neu. „Ich bin jetzt ein regelrechter Spießer geworden“, sagt er und lacht. Wir lachen mit. In den vier Stunden, in denen uns Philip Schlaffer in seine Biographie hatte einblicken lassen und uns, obwohl er kein Mensch der Moral sei, viel mit auf den Weg gegeben hatte, war er die ganze Zeit auf Augenhöhe geblieben und hatte uns eingebunden.

Für diejenigen, die seine Geschichte interessiert: „Hass. Macht. Gewalt.“ heißt seine Autobiographie, zu der auf Netflix eine Serie entstehen soll.

Presse-AG