Die Welt neu erfinden

Stellt Euch vor, Ihr landet auf einer unbewohnten Insel und wisst, dass Ihr für immer dort bleiben werdet. Wie wollt Ihr zusammenleben? Welche Strukturen braucht Ihr, um eine neue Gesellschaft aufzubauen? Welchen Wert hat die Demokratie bei Euch? Darüber hat die Q1 an den letzten Tagen ihres Praktikumsprogramms nachgedacht.

„Vertrauen ist wichtig, Kontrolle ist besser“ – Dieser Leitsatz herrschte bei uns im sogenannten Insel-Spiel, in dem man eine gesellschaftliche Ordnung zum Überleben schaffen muss; denn heute ging es uns um unser persönliches Demokratieverständnis. Dafür sind Joscha John und Michael Ohnesorge vom v.f.h. (Verein zur Förderung politischen Handelns) zu uns gekommen, um mit uns in den nächsten zwei Tagen über Möglichkeiten der politischen Partizipation in Deutschland zu diskutieren und die dafür verfassungsrechtlich verankerte Gesetzesgrundlage zu verstehen.

Ein weiterer Schwerpunkt waren die Gefahren in einer Demokratie – schnell ging es um Extremismus und Radikalismus. Dabei ist letzteres im eigentlichen Sinne gar keine unbedingte Gefahr, es bedeutet nur die absolute Hingabe für eine Sache (lat. radix: Wurzel, also der Ursprung). Anders sieht es mit dem Extremismus aus, dieser hat das Ziel, die FDGO zu zerstören, die freiheitlich demokratische Grundordnung. Dieser Begriff wird uns noch den ganzen Workshop über begleiten, da dieser elementar für unser Verständnis eines guten und freien Staates ist. Doch die Sache mit dem Extremismus ist keinesfalls eindeutig – wer steht noch im Kreis der FDGO, also der Verfassung und wer versucht diese schon zu stürzen und unterminiert sie? Um die Demokratie zu schützen, müssen Extremisten in ihrer Freiheit beschnitten werden. Dies hat zur Folge, dass man als toleranter Staat intolerant gegenüber Intoleranten sein muss (Toleranz-Paradoxon, Karl Popper). Es ist eine nie eindeutige Gratwanderung, die immer wieder neu ausgelotet werden muss – zu viel Freiheit erlaubt extremistische Gefahren, zu viel Einschränkung provoziert diese.

Doch zurück zum Inselspiel. Wir sind gestrandet und müssen uns versorgen; es gibt Verletzte. Lassen wir sie sterben, weil sie für den Rest keinen Nutzen mehr haben? Oder lassen wir sie leben, weil alle bei uns ein Recht auf Leben haben? Und wie werden Entscheidungen getroffen, wer setzt sie durch? Gerade die letzte Frage machte uns in unserer Gruppe zu schaffen, denn ich war Polizist – mit einer Waffe. Ich hätte also Macht, die ich ausnutzen könnte. Dies hat Misstrauen geschafft, sodass ich als Konsequenz meine Waffe abgeben musste. Nun war sie Allgemeingut und zur Jagd bestimmt. Jetzt ist die Gefahr, dass andere sie sich an sich reißen und das gegenseitige Vertrauen missbrauchen. Unsere Diskussion drehte sich am Ende um die perfekte und sicherste Verteilung der Patronen – in der Auswertung wurde uns als Gruppe klar, dass wir uns überhaupt nicht vertraut haben; andere Gruppen sahen überhaupt kein Problem in den Waffen. Es wurde offensichtlich, dass es ein Grundvertrauen geben muss, damit Demokratie funktioniert. Auch die Strafe bei einer Verletzung unserer aufgestellten Regeln war hart: Die Verbannung.

Zurück zur Realität, hinein in die Tiefen unserer Verfassung, in das Grundgesetz. In einer weiteren Gruppenarbeit haben wir uns die sogenannten acht Säulen der FDGO kennengelernt. Ohne diese stürzt die Grundordnung in sich zusammen. Elementar sind die Grundrechte – Artikel 1-20 – aber auch die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Gerichte spielen eine große Rolle. Die horizontale Gewaltenteilung kennt fast jeder: Nebeneinander stehen die drei Säulen Legislative (Gesetzgebung, z.B. der Bundestag); Exekutive (ausführende Gewalt, also die Polizei und das Militär, aber auch die Regierung und Angela Merkel (sie ist sogar auch Legislative)) und die Judikative (die Gerichte). Hinzu kommt die vertikale Gewaltenteilung, also die Verteilung der Zuständigkeit auf Bund, Länder und Kommunen. Dies ist gerade in Coronazeiten aufgefallen: Schule ist Ländersache, also getrennt vom Bund. Damit hat das Land auch einen Teil der Gewalt und dezentralisiert so die Macht.

Der erste Tag hat uns also unglaublich viel Wissen an die Hand gegeben, viel wichtiger ist aber, dass uns Joscha und Michael gezeigt haben, was eine Demokratie im Kern eigentlich ausmacht und wie wir und der Staat selbst sie schützen kann. Durch viel Diskussion und Gruppenarbeiten war der längste Tag in diesen zwei Wochen nie langatmig sondern sehr kurzweilig und dicht gepackt mit Information.

Ferdinand Hübner, Q2c