,,Ich lebe, um zu überleben.“ 

,,Ich habe nicht verstanden, was Krieg und Frieden waren”, berichtet Jurek Szarf, als er das Johanneum als 136. Schule besucht, um über sein Leben als Jude zu NS-Zeiten im Konzentrationslager zu berichten.

Genau einen Monat nach der Kriegserklärung vom 1. September 1939 hat die deutsche Wehrmacht die polnische Stadt Lodz besetzt. Der 1. Oktober 1939: Der Tag, an welchem Jurek Szarfs schreckliche Geschichte begonnen hat.

Seine erste Begegnung mit Nazi-Deutschland hat Herr Szarf gehabt, während seine Mutter ihm die Schuhe geschnürt hat. Drei Soldaten haben die Tür eingebrochen und hochgehoben, um ihn anschließend gegen die Wand zu werfen, sodass er das Bewusstsein verlor. ,,Ich habe damals gedacht, dass die Soldaten spielen wollen, als sie mich hochhoben”, fügt Jurek Szarf hinzu. Anschließend haben die Soldaten seiner Familie alle Wertsachen entwendet.

Neben der Entwendung jüdischen Eigentums sowie gewaltsamen Übergriffen hat es ebenfalls starke Einschränkungen in Zusammenhang mit der Kennzeichnungspflicht gegeben, des Weiteren ist die Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt worden. Doch dabei ist es nicht geblieben: Diese radikalen und gewaltsamen Maßnahmen sind mit der Verordnung, dass sich alle Juden Warschaus (etwa 1/3 der Bevölkerung dort) in einem Ghetto zusammenfinden müssen, nochmals drastischer geworden.

In den Ghettos haben die Insassen Zwangsarbeit leisten müssen, ,,[…] alle mussten für Hitler arbeiten“, sagt Herr Szarf. ,,Am Tag sind uns dafür 250g Brot, 100g Braunzucker und ein Stück Käse ausgehändigt worden”, fügt er hinzu.

Während Jurek Szarf von der Zwangsarbeit erzählt, berichtet er ebenfalls von dem grausamen ,,Hobby”, welchem der Gouverneur jeden Morgen nachgegangen ist. ,,Einige spielen Fußball als Hobby, die anderen erschießen aus ihrem Auto hinaus Menschen”, fasst er zusammen.

Neben den älteren Menschen sind außerdem die Kinder nach und nach abtransportiert worden, Herr Szarf ist während der Zeit im Ghetto ebenfalls ein Kind gewesen.

Doch zu diesem Zeitpunkt hat seine Tante ihm zum ersten Mal sein Leben gerettet. Aufgrund ihres Berufes als Sekretärin, welcher ihr gegeben worden war, da sie perfekt Polnisch und Deutsch sprach sowie ein deutsches Abitur hatte, hat sie mehr Lebensmittel erhalten. Des Weiteren hat sie den betrunkenen Gauleiter dazu gebracht, ein Dokument zu unterschreiben, welches besagte, dass der junge Jurek Szarf bei ihr bleiben durfte.

Nach einigen Jahren ist das Ghetto aufgelöst worden und die ca. 500.000 Menschen sind mit der Reichsbahn aus Warschau in Konzentrationslager deportiert worden, in einem Waggon haben die Menschen lange auf engstem Raum ausharren müssen, viele sind dabei umgekommen.

,,Auch hier im KZ Ravensbrück bin ich das einzige Kind gewesen und meine Tante hat mir ein weiteres Mal mein Leben gerettet”, berichtet Herr Szarf. Nach ihrer Ankunft hat sie dem SS-Mann durch ihr couragiertes Auftreten bei der Entladung der Gefangenen die Zusage abnehmen können, dass ihr Neffe bei ihr bleibt.

Anschließend berichtet Herr Szarf noch weiter über die schreckliche Zeit, welche er in verschiedenen Konzentrationslagern verbracht hat, bis er letztendlich in den sogenannten ,,Krankenblock” des Konzentrationslagers Sachsenhausen gebracht worden ist. Zu diesem Zeitpunkt ist er nicht mehr zur Arbeit oder überhaupt zum Aufstehen fähig gewesen, nach dem eigentlichen Plan der Nazis wäre dies sein letzter Tag gewesen. Doch sein Schicksal hat sich durch die Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen (1945) durch polnische und sowjetische Soldaten plötzlich gewendet.

Sechs Jahre nach Kriegsende und der Befreiung des Konzentrationslagers hat Jurek Szarf sich dazu entschieden, in die USA auszuwandern. Dort hat er viele Jahre seines Lebens verbracht, er hat Arbeit gefunden, geheiratet und Kinder bekommen.

Nachdem Herr Szarf über seine Zeit während und nach der NS-Zeit berichtet hat, haben wir die Möglichkeit gehabt, ihm Fragen zu stellen.

Die Frage, ob er Angst vor den Deutschen gehabt habe, verneint er. ,,Ich hatte eher Angst, geweckt und abgeholt zu werden. Mich plagen Albträume, vor Überfällen oder Waffen habe ich keine Angst”, fügt er hinzu.

,,Es war ganz anders, ich habe es kaum wiedererkannt, damals war alles zerbombt, die Menschen waren anders. 1945 ging es um Essen, 1971 wollten alle abnehmen.”, antwortet er auf die Frage, wie er Deutschland nach seiner Rückkehr aus den USA wahrgenommen hat.

Wir sind dankbar dafür, dass er wiedergekommen ist und Zeit für uns hatte. Ein Besuch mit viel Nachhall.

Catharina Freier, Q1d

Fotos: Jannik Wigger für die Foto-AG