Bühne frei für die Kunst der Worte

Drei Jahre ist es  her, dass zum letzten Mal, kurz vor dem ersten Lockdown, ein Poetry-Slam-Abend von dem Q2-Jahrgang organisiert wurde. Am Donnerstagabend, den 02.03., hieß es nun im Studio endlich erneut: „Bühne frei!“

Die Kunst der Worte scheint manchem fremd und manchem ganz nah zu sein. Letztere suchen sich häufig Ausdruck für ihre Gefühle, Erfahrungen oder Statements in einem Fließtext – ob er nun voller Metaphern ist oder knallhart auf den Punkt gebracht. Meistens bleiben solche Texte in den Notizbüchern stehen, und das ist ganz normal. Doch manchmal lohnt es sich auch, über sich selbst hinauszuwachsen, diese literarischen Werke auf die Bühne zu bringen und den einen oder anderen im Publikum zum Nachdenken anzuregen, ihm oder ihr ein Lächeln ins Gesicht zaubern oder ihn oder sie eine kleine Träne verdrücken zu lassen.

Diesen Donnerstag war es vermutlich wohl eher Letzteres, denn als sich alle Slammer:innen noch während der Vorbereitungen in der Aula über ihre Texte austauschten, stellte sich schnell heraus, dass es eher ein Abend der tiefergehenden und berührenden Texte werden würde. Diese wurden im Anschluss zum Teil noch etwas geübt, vor sich hingemurmelt oder aber in ein anderes Notizbuch übertragen, während sich das Studio langsam füllte.

Um 19.00 Uhr schließlich eröffnete Sophia Balke aus der Q2a den Abend. Nach und nach rief sie die einzelnen Slammer:innen auf die Bühne und moderierte souverän bis zu der Pause, in der es „Aufgabe des Publikums“ war, sich beim Kuchenstand den Bauch vollzuschlagen. Nach diesem lebendigen Gewimmel, in dem bereits einige Glückwünsche oder Zustimmungen zu Statements aus den Texten ausgetauscht wurden, kehrte recht schnell wieder die gebannte Ruhe ein, als das Licht im Zuschauerraum erlosch. Erneut war das Studio in Dunkelheit getaucht, während sich vorne auf der Bühne nach und nach die Slammer:innen das Mikro in die Hand gaben und das Publikum in ihren Bann zogen. Nachdem auch der letzte Text vorgetragen worden war, bat Sophia Balke noch einmal alle Performer:innen auf die Bühne, die durch den Applaus des Publikums nicht nur durch den Abend, sondern nun auch nach vorne begleitet wurden.

Nach diesem Abschluss wurde das Studio geräumt und jede:r ging seiner eigenen Wege, sodass man beinahe meinen könnte, es hätte diesen besonderen Abend nur für die Anwesenden gegeben. Doch um auch hier einen Teil dieser zwei Stunden festzuhalten und um Lust auf einen weiteren Poetry-Slam-Abend im nächsten Jahr zu machen, gibt es hier nun einen der beiden von Frau Lattwein performten Texte zu lesen.

Text: Josefin Greve, Q1c

(Josefins Slambeitrag gibt es zum Nachhören und -lesen hier.)

Fotos: Inken Christiansen

Poetry Slam Text: Das Pareto-Prinzip

Mir kam irgendwann beim Aufräumen und Putzen, vermutlich schon während der Studienzeit, die Idee, das schön schlaue Pareto-Prinzip auszuprobieren. Ein gewisser Herr Pareto stellte demnach vor über 100 Jahren die These auf, man könne 80 Prozent der Ergebnisse mit 20 Prozent Aufwand erreichen. Dahinter verbirgt sich noch mehr, aber so genau habe ich mir das nicht angeschaut und fand mich damit schon direkt pareto-mäßig. Welcher Zeitpunkt eignete sich besser zum Testen als der wöchentliche Wohnungsputz? Gesagt – getan – die Bude mittelmäßig sauber, ich um DAS Lebensprinzip schlechthin schlauer – und deshalb dieser Text 20 Jahre später.

Ich bin so pareto,

dieses Prinzip, dieses Wort,

so klein, aber fein, mein Haus auch heute noch nur 20 oder mal 80 Prozent rein,

Pareto – ick liebe dir!

Kannst auch gern ein Adjektiv sein.

Ich bin so pareto,

ich geb nur 20 Prozent, genial,

80% meiner Träume werden wahr.

Die Welt der Sprichwörter gibt mir recht:

Mut zur Lücke,

weniger ist mehr,

das gefällt mir alles sehr,

wozu 100 Prozent sauber polieren,

wenn mich die letzten Prozente unnötig drangsalieren,

so pie mal Daumen aufräum`,

wirkt ordentlich und ich träum` heiter,

ich pareto weiter.

Jetzt ist es schon ein Verb,

Pareto, du bist mein Schwert im Alltagsdschungel.

So bezwinge ich das Leben scheinbar ungezwungen,

Hoffentlich geht das gut!

Wo ich bisher keine halben Sachen machen mochte,

lieber perfekt als mittelprächtig,

doch das störte mich mächtig.

Kostete einfach zu viel Zeit und oft auch Heiterkeit,

ab jetzt lieber lässig pareto.

80/20 kernig kantig,

ich bin so pareto!

Bücher lesen, ich fliege über die Wörter,

der Inhalt kommt trotzdem an, Zeit für Präpositionen und Artikel vertan,

die Wäsche werfe ich regelrecht und

80%ig schlecht über den Ständer,

20% weniger Falten galten mal als wichtig,

solche Ideale sind mir heute nichtig.

Ich bin so pareto,

es macht so viel Spaß,

ich will gar nicht mehr 100%,

Ich pareto mir mein Leben,

treffe nur noch 20 Prozent meiner Freunde,

den harten Kern,

den hab ich auch wirklich gern.

Auf meiner to do-Liste streiche ich acht von zehn Dingen,

ich habe zum ersten Mal das Gefühl, ich kann sie bezwingen.

Was passiert mit dem Rest?

I guess, later baby. Was du heute nicht kannst besorgen,

ich verschiebe es gern auf überübermorgen.

Plötzlich ist da Zeit,

in die Wolken zu schauen,

neue Hobbys zu trauen,

vom Weg des Hamsterrads abzukommen,

ich hatte ihn längst nicht mehr gern genommen.

Ich bin so pareto,

ich ziehe mich an und

direkt acht Sachen wieder aus.

Pareto,

es ist sehr unpraktisch,

Winter und verdammt kalt,

halt, ich merke, ich übertreib es

vielleicht ein wenig mit dem Pareto-Hype

und sollte es nicht ganz so genau nehmen.

Das ist schon wieder so pareto von mir,

ahhh, ich liebe es.

Ok, ich geb`s zu, ich kann nicht alles pareto-regeln,

manchmal lass ich mich gern zu 100 Prozent knebeln.

Der Teufel steckt im Detail, weil nicht jede Aufgabe mit nur 20 Prozent erfüllbar scheint.

Das Abi erstellen fürs Profil mit Prüfung aus Kiel – volle Power!

Online-Banking, die korrekte Summe an die richtige Person, 100 Prozent Konzentration,

Essen 100 prozentig lecker kochen, guter Geschmack als Lohn,

mit meinen Kindern kleine und große Wege gehen,

den und dem Lieben richtig in die Augen sehen,

sind mir 100% wichtig.

Weil`s mir echte Bedeutung verschafft,

da habe ich die Kraft und die Leidenschaft für 100%.

Trotzdem, Pareto, du berührst mich,

die Lust am Unperfekten, Echten, tiefgründig oberflächlich,

bestechend betörend,

verstörend einfach.

Auch wenn mir mal was durch die Lappen geht,

fühl ich mich gewappnet,

in diesem nervösen Zeitalter der Überinformation

vielleicht auch gerade deswegen

mit Mut zur Lücke zu bestehen, statt überfordert zugrunde zu gehen.

Lieber Pareto als Multi-Tasking,

ich streiche Dinge, statt mich zu verzetteln.

Ich bin nur gut und brauche

das „sehr“ nicht davor,

bringe meine 20 Prozent-Bälle zielsicher zu 80 Prozent ins Pareto-Tor.

Die Zahlen machen so langsam keinen Sinn, nicht weiter schlimm.

Der Teufel steckt im Detail

und ich halt es lieber mit Engeln.

Ich bin pareto,

das Leben ist damit nicht perfekt,

aber es geht so.

Anja Lattwein