Abi 2024 – und jetzt? „Spielend Perspektiven schaffen. Mit Musik.“

Du machst im Juni Abi und hast noch nicht wirklich einen Plan, was du nach der Schule machen willst? Wie wäre es mit Abenteuern, Eigenständigkeit und einem Perspektivwechsel – der vielleicht auch manchmal das Verlassen deiner Komfortzone bedeutet? Wenn dir Musik große Freunde macht, du vielleicht sogar im Musikprofil, im OC oder Sinfo warst, dann kommt hier mein Vorschlag für dich:

Bekanntmachen möchte ich dich mit der kleinen Hamburger Organisation „Musiker ohne Grenzen“, die seit 2007 in Ecuador und Ghana Freiwilligendienste anbietet. Grundgedanke ist, dass junge Erwachsene ihr erlerntes Wissen über Musik an Kinder und Jugendliche in kostenlosen Unterrichtseinheiten weitervermitteln. Gesucht werden beinahe alle Instrumente, gerngesehen ist eine bunte Palette deines musikalischen Wissens, dazu ein Reisekoffer voll Motivation, Improvisationsbereitschaft und Einfallsreichtum. Auch ein bisschen Mut, völlig neue und nichteuropäische kulturelle Facetten kennenzulernen, sollte auf der Packliste auftauchen.

Ich selbst, Lilli Kollmeier, habe 2023 am Johanneum mein Abitur gemacht und bin nun seit September in einem der drei Standorte in Ecuador – in der Stadt „Playas“, zwei Minuten vom Pazifik entfernt. Ich lebe in einer liebvollen Gastfamilie mit zwei Gastschwestern und acht Hunden. Zusammen mit einer zweiten Freiwilligen aus Berlin gehe ich fünf Tage pro Woche in dem Kulturzentrum „Cacique tumbalá“ meiner Arbeit nach.

Wenn ich meinen Freiwilligendienst reflektierend beschreiben soll, so gehen meine Aufgaben immer wieder weit über das Unterrichten meiner beiden Instrumente, Klavier und Geige, hinaus. Neben dem Näherbringen von Musik wollen wir einen Ort der Begegnung und des Zusammenseins erschaffen, ein Freizeitangebot, das Kinder und Jugendliche von Playas anspricht und die Möglichkeit neuer Freundschaften eröffnet. So gebe ich vormittags in der „Ola Sinfónica“ (unsere Musikschule vor Ort) individuellen Instrumentalunterricht, ab nachmittags leite ich unter anderem einen neugegründeten Chor und versuche, eine Band auf die Beine zu stellen. Manchmal können sich diese musikalischen Einheiten allerdings auch in ein hitziges Fußballspiel oder einfach in ein entspanntes Treffen am Strand sowie am nächsten „Empanadas con Queso“-Laden verwandeln.

Mit diesen gemeinsamen Aktionen, manchmal sogar ganzen Wochenendausflügen, versuchen wir Musiker:innen, zusätzlich ein bisschen Farbe in den Alltag der Menschen zu bringen, denn – so sehr ich Ecuador auch ins Herz geschlossen habe – oft fehlen außerschulische Möglichkeiten für Kinder und Jugendliche; sportliche oder musikalische Angebote gibt es kaum oder die finanzielle Situation einer Familie verhindert eine Teilnahme. Zusätzlich führt neben der relativen Armut auch die Sicherheitslage des Landes zu teilweise großen Einschränkungen des sozialen Lebens. Das gilt natürlich genauso für uns Freiwillige.

Da die Strukturen in Playas unter der Coronapandemie sehr gelitten haben, habe ich mir zu Beginn meiner Zeit meinen Stundenplan selbst geschrieben; auch wann und wieviel ich arbeite, war erstmal mir selbst überlassen – die Freude an meiner Arbeit hat jedoch schnell dazu geführt, dass ich meistens mehr als acht Stunden am Tag im Cacique verbringe. Aktuell kommen 18 Schüler:innen zum Einzelunterricht, viele erhalten aufgrund eines fehlenden Instruments zu Hause zwei Stunden pro Woche. Allesamt sind hochmotiviert und sehr dankbar über das Angebot.

Entwarnung: Was von dir als Freiwillige:r erwartet wird, ist weder die Perfektion in der Beherrschung eines Instruments, noch ein vollständig abgeschlossenes Pädagogikstudium. Entscheidend ist vielmehr der Wunsch, Freude an der Musik zu vermitteln, sich auf Schüler:innen als Menschen einzulassen und zuzuhören sowie die Organisation von Konzerten und Aktivitäten.

Ich beispielsweise spiele erst seit knapp zwei Jahren Geige und unterrichte das Instrument genauso intensiv wie mein Hauptinstrument Klavier. Da ich selber noch vieles lernen muss, kann ich die Schwierigkeiten meiner Schüler:innen oft besser nachvollziehen und die Angst vor Fehlern nehmen. Außerdem entscheidet ihr als Freiwillige:r letzten Endes selbst, welches Niveau ihr unterrichtet.

Was auf jeden Fall tagtäglich gefordert wird, ist Kreativität und Spontanität: Was können wir mit den (manchmal leider etwas spärlichen) materiellen und finanziellen Mittel vor Ort erschaffen? Wie gelingt es uns, innerhalb kürzester Zeit, ein Konzertprogramm auf die Beine zu stellen? Wie können wir gemeinsam mit den Schüler:innen noch zusätzliche Spenden auftreiben? Werbung durch Ansprachen im Radio, Kaufhausauftritte, Essensverkäufe oder Müllsammeln am Strand… Bei „Musiker ohne Grenzen“ wird das „Go“ glücklicherweise nicht durch lange Vorstandsbesprechungen, Bürokratie oder Vorgaben aufgehalten. Das Motto lautet viel eher: „Versuch es – Musik überwindet Grenzen!“ Neue Ideen sind die kleinen Funken, die das Lebenslicht unserer „Ola Sinfónica“ aufrechterhalten.  

In ein paar Monaten werde ich zurückkehren und auf ein Jahr voller unvergesslicher Erlebnisse, neue Freundschaften, Glück sowie vielfältige Situationen zurückschauen, in denen ich immer wieder über mich hinausgewachsen bin. Vielleicht auch mit dem Gedanken „Das war das beste Jahr meines Lebens“ und „Sollte ich doch alle meine Pläne über Bord werfen und einfach Musik studieren?!“ (Vorsicht, diese Gefahr ist nach Erfahrungsberichten tatsächlich sehr hoch…)

Aber unabhängig von all diesen persönlichen Bereicherungen werde ich zusätzlich mit dem Wissen abreisen, dass ich im letzten Jahr wirklich etwas geschafft habe. Dass ich mit meiner – bis dato nicht vorhandenen – Unterrichtskompetenz und meiner auch nicht fehlerfreien Arbeit in Kindern und Jugendlichen die Freude an Musik geweckt, ihnen Selbstvertrauen vermittelt und die „Ola Sinfónica“ weiterentwickelt habe.
Vielleicht ist sogar das Erkennen dieser Sinnhaftigkeit das Beste, was der Freiwilligendienst von „Musiker ohne Grenzen“ mir am Ende gibt.

Was der Verein aktuell unbedingt braucht, sind motivierte Musiker:innen, die Lust haben, dass Projekt weiter fortzusetzen. Ich würde mich unglaublich freuen, wenn meine Schüler:innen die Perspektive eines langfristigen Unterrichts hätten, auch wenn ich im Sommer wieder nach Hause fliege. Dass es ein Privileg ist, ein Instrument zu erlernen und damit zu musizieren, sollten wir (ehemaligen) Schüler:innen des Johanneums doch besonders zu schätzen wissen. Verpasst also nicht die Chance, dieses zu teilen.

Weitere Infos zu „Musiker ohne Grenzen“ findet ihr hier auf der Website: https://musikerohnegrenzen.de/

Lilli Kollmeier, Abi 2023